Natur:Alle Vöglein sind bald weg

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Am Augrund nahe der S-Bahn-Trasse hat die Stadt eine Hecke massiv zurückschneiden lassen. Man hätte die Zeit während der Gleisarbeiten nutzen wollen, heißt es als Begründung. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Zwischen März und September ist es wegen der Brutzeit verboten, Hecken zu schneiden. Trotzdem halten sich im Landkreis Ebersberg viele nicht daran.

Von Jessica Morof, Ebersberg

Jedes Jahr ist es wieder dasselbe: Das Schneiden von Hecken und Gebüschen ist aus Rücksicht auf darin brütende Vögel von März bis einschließlich September verboten. Trotzdem häufen sich in dieser Zeit die Fälle, in denen sich sowohl Privatpersonen als auch Behörden über das Verbot hinwegsetzen. Und damit häufen sich auch die Beschwerden, die bei der Unteren Naturschutzbehörde eingehen. Viele Handlungsmöglichkeiten hat diese allerdings nicht: Denn für eine Anzeige braucht es Zeugen und Beweismaterial.

Erst kürzlich hat eine Ebersbergerin beobachtet, wie am Bahnübergang der Kreisstadt im Augrund nahe der Schrebergärten eine Hecke radikal zurückgeschnitten wurde. Auf etwa 40 Zentimetern Länge wurde die Mischhecke laut der Naturliebhaberin "gründlichst ausgedünnt". Sie sei nun "so durchsichtig wie Kristallglas" schreibt die Frau, die in der Nachbarschaft lebt und den Weg regelmäßig für Spaziergänge nutzt. Sie habe beobachtet, dass Gehölz in Längen von bis zu eineinhalb Metern entfernt worden sei - von einem schonenden Form- oder Pflegeschnitt könne also keine Rede sein.

Tatsächlich schreibt das Bundesnaturschutzgesetz einerseits vor, Tier- und Pflanzenwelt nicht erheblich zu beeinträchtigen. Andererseits verbietet es, dass Hecken, lebende Zäune, Gebüsche und andere Gehölze von März bis einschließlich September geschnitten oder gar radikal zurückgeschnitten werden. Erlaubt seien lediglich schonende Form- und Pflegeschnitte, um den Zuwachs zu beseitigen. Ausnahmen für dieses Verbot bestehen für behördlich angeordnete Maßnahmen und solche, die von öffentlichem Interesse sind; beispielsweise, um die Verkehrssicherheit sicherzustellen.

Die Hecke im Augrund sei deshalb jetzt geschnitten worden, da die Bahn aufgrund der Gleisarbeiten nicht gefahren sei, erklärt Max Finster, stellvertretender Sachgebietsleiter der Unteren Naturschutzbehörde. Denn die Hecke steht ganz dicht am Gleis, wolle man sie während der Verkehrszeiten schneiden, benötige man unter anderem einen Sicherheitsposten - und das koste Geld, erklärt die Stadt. Sie hat als Besitzerin des Grundstücks den Schnitt bei der Stadtgärtnerei in Auftrag gegeben; diese hat wiederum eine Firma damit beauftragt.

Für Finster ist die stillstehende Bahn allerdings "nicht so das Argument". "Die Frage ist doch immer: Muss das jetzt wirklich sein?", sagt Finster. Denn in der hochaktiven Vogelbrutzeit, also in den Monaten März, April und Mai, sei jeder Schnitt problematisch für die Vögel. "Wir wissen doch, dass es den Brutvögeln bei uns nicht gut geht", betont der Fachreferent für Naturschutz. Trotzdem häuften sich die Vorfälle in dieser Zeit; viele Bürger würden sich bei der Behörde melden, um Verstöße zu melden.

Was ist noch Formschnitt und was radikaler Rückschnitt?

Laut Finster unterscheidet die Gesetzeslage zwischen Hecken und Gebüschen innerhalb und außerhalb bebauter Bereiche. In letzterem Fall sei ein Schnitt grundsätzlich verboten; in ersterem je nach Sachlage. Wenn ein Schnitt dringend nötig sei, müsse jedoch von einem Fachmann sichergestellt werden, dass keine Vögel in der Hecke nisten oder brüten. Nur dann könne sie vorsichtig gestutzt werden. Hier schieden sich allerdings die Geister: Was ist noch Formschnitt und was radikaler Rückschnitt? Erlaubt sei lediglich, neue Triebe abzuschneiden, erklärt Finster. Sobald es an die Basis der Hecke gehe und großes Gehölz entfernt werde, sei es verboten.

In jedem Fall müsse auch ein dringender Pflegeschnitt aus Achtung vor dem Leben ein Sonderfall sein. "Der Artenschutz ist immer solitär zu behandeln", betont Finster. Ihm liege inzwischen ein Schreiben vor, dass man die Hecke vor dem Schnitt untersucht habe und keine Brutvögel darin gelebt hätten. Offiziell sei also alles rechtmäßig vonstatten gegangen.

Max Finster bleibt jedoch skeptisch: Es sei sehr unwahrscheinlich, dass gar keine Vögel in der Hecke gelebt hätten. Denn es gebe insgesamt nur sehr wenige Brutstätten in Ebersberg; überall sei es viel zu unruhig. Seiner Meinung nach müsse eine Prüfung immer durch einen Biologen erfolgen. Dieser schaue nicht einfach in die Hecke hinein, sondern beobachte über einen längeren Zeitraum das Anfliegeverhalten. Denn Vögel würden versuchen, sich so lange wie möglich nicht zu bewegen; erst bei ganz akuter Gefahr, also erst beim Schnitt, rührten sie sich dann doch. "Man kann sie eigentlich kaum sehen", erklärt er.

Handlungsmöglichkeiten gebe es aus Sicht der Naturschutzbehörde jedoch kaum. Die Behörde sei in regem Kontakt mit den Gemeinden und Gärtnereien und informiere auch die Bürger. "Wir können nur immer wieder darauf hinweisen", sagt er. Einige Male habe er es schon geschafft, angeordnete Arbeiten im Gespräch mit den Gemeinden noch zu verschieben. Schwierigkeiten habe das Warten nie gebracht.

Zudem komme eine Anzeige infrage, wenn es Zeugen und eindeutiges Beweismaterial gebe, denn ein Verstoß gegen das Naturschutzgesetz ist in jedem Fall eine Ordnungswidrigkeit. Wurden darüber hinaus Tiere verletzt oder Nester zerstört, dann greife sogar das Strafrecht, warnt Finster. "Und dann hat derjenige ein Problem." Für den Naturschutzbeauftragten ist es aber vor allem auch eine Frage der Ethik: "Die Leute wissen doch, dass die Vögel immer weniger werden", sagt er fast ein bisschen verzweifelt. "Und trotzdem verdrängen sie es, wenn es um die eigene Bequemlichkeit geht."

© SZ vom 12.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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