Musik für alle:Instrumente raus!

Lesezeit: 3 min

In den Bandklassen der fünften Jahrgangsstufe an der Poinger Realschule braucht man nicht Stift und Papier, sondern Bass und Gitarre

Von Amelie Hörger

Als einer der Schüler im Musikunterricht der fünften Klasse der Realschule in Poing die Saiten seines Basses zupft, hallt der Ton mehrfach verstärkt durch das kleine Klassenzimmer, sodass die Luft vibriert. "Das ist Rock 'n' Roll!", ruft der 11-jährige Lukas begeistert, er sitzt an einem Keyboard am anderen Ende des Raumes. Sofort ist klar: Diese zwei Stunden bei Stefan Engels schauen anders aus als traditioneller Musikunterricht. Denn die Bandklasse, in welcher 26 Schüler und Schülerinnen gerade Schlagzeug, Gitarre, Bass und Keyboard einstimmen, gehört mit den parallel laufenden Chor-, Percussion-, und Gitarrenklassen zu der Initiative "Klasse-im-puls".

Das bayernweite Projekt, organisiert und finanziert durch eine Kooperation zwischen der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und dem Kultusministerium, findet seit seiner Gründung 2009 immer mehr Anklang. Vor vier Jahren ist die Dominik-Brunner-Realschule dazu gekommen. "Ich bin sehr zufrieden", erklärt Schulleiter Matthias Wabner, schließlich gebe es ansonsten nicht so viele musikalische Angebote. Umgesetzt wird das Konzept unterschiedlich, aber eins bleibt immer gleich: Im Fokus steht das Praktische, der Umgang mit einem Instrument. Deswegen kommen zum einstündigen Musikunterricht der fünften Klassen in Poing noch zwei Stunden Praxis hinzu. Vollkommen losgelöst von ihrem normalen Klassenverband spielen und lernen die Kinder hier Lieder wie "Lady in Black" von Uriah Heep.

An jeder Ecke des Klassenzimmers hat sich eine Instrumentengruppe versammelt. Links hinten die Bassisten, dann die akustischen Gitarren, in der anderen Ecke das Schlagzeug, und die Keyboards direkt im Rücken des Musiklehrers, der in der Mitte die Einsätze gibt. Trotzdem entgeht Stefan Engels nicht, wie Moritz und Lukas heimlich ihre Trinkflaschen auf dem Keyboard abstellen, und weist die beiden Buben gleich in ihre Schranken: "Eiserne Regel - keine Getränke auf Instrumenten abstellen, sonst muss ich sie entsorgen!" Schmollend geben die beiden Schüler nach, und die Flaschen wandern wieder zurück in die Rucksäcke. Gut so, denn hier soll ja die Musik im Vordergrund stehen.

Während der Lehrer zwischen den verschiedenen Instrumentengruppen hin- und hergeht, mal da den Takt angibt oder dort neue Akkorde beibringt, sieht man immer wieder, dass die Schüler sich auch gegenseitig etwas zeigen, sich teilweise sogar ein Instrument teilen. Denn die 4000 Euro an Fördergeldern, welche die Realschule nach ihrer Bewerbung von der Initiative bekommen hat, um Instrumente und Equipment anzuschaffen, reichen nicht ganz aus. Trotzdem soll jeder Schüler die Chance haben, zu musizieren, selbst wenn er bis jetzt kein Instrument erlernt hat.

"Wir haben mit einem einfachen Lied angefangen. Ich konnte davor auch noch nicht Gitarre spielen", erzählt die elfjährige Amaya. Das ist mit Sicherheit die größte Herausforderung des Projekts "Klasse-im-puls": Der außergewöhnliche Musikunterricht an der Dominik-Brunner-Realschule bietet wirklich jedem die Möglichkeit, mit Klängen und Tönen in Berührung zu kommen - vom jungen Mozart bis zum blutigen Anfänger, der noch nie ein Instrument in der Hand hatte.

Doch es gehe hier gar nicht darum, virtuos spielen zu lernen, beschwichtigt Lehrer Stefan Engels. Teamarbeit und fröhliche Gesichter beim jährlich stattfindenden Sommerkonzert seien die Hauptziele. "Im normalen Musikunterricht neigt man dazu, nur zu reden", fügt er noch hinzu, das sei schade. Schließlich werde in Kunst auch gemalt, in Sport nicht nur über Spielregeln geredet. In Poing ist zu sehen: Der direkte Kontakt mit Instrumenten und das Erleben von Livemusik kann ein essentieller Bestandteil des Unterrichts sein - über den sich die Schüler gerne auch mal lautstark freuen. Während der Probe wird gewitzelt, geklimpert, gelacht und die junge Band ist sich einig: "Wir sind die lauteste unter den Musikklassen!"

Der außergewöhnliche Musikunterricht an der Dominik-Brunner-Realschule bietet wirklich jedem die Möglichkeit, mit Klängen und Tönen in Berührung zu kommen. (Foto: Christian Endt)

Eine Etage tiefer macht ihnen die Percussionklasse von Ludwig Wiesböck aber hörbar Konkurrenz. Xylofon, Metallofon, Schlagzeug, Rassel und Triangel spielen hier mit Leidenschaft und reichlich Lautstärke den Titelsong von "Derrick". "Die Liederauswahl ist manchmal schwierig", gesteht Wiesböck. Aber gerade Songs von Kriminalserien passten zumeist sehr gut, da sie oft ein gewisses Glockenspielelement besäßen, das dann in der Percussionklasse gut umgesetzt werden könne. Ein paar Durchläufe spielen die jungen Musiker, immer begleitet von ihrem Lehrer, der in die Tasten seines Keyboards haut. Da werden die Rasseln geschüttelt und die Stäbe der Xylofone wackeln, ab und an auch einmal der Tisch, wenn einer der Schüler den richtigen Ton verfehlt. Aber am Ende schauen die Schüler jedes Mal zufrieden in die Runde. In dieser Klasse lernen die Schüler zunächst alle Instrumente, jeder muss schließlich wissen, was die anderen spielen, dann teilt Wiesböck je nach Begabung Aufgaben zu.

Egal an welchem Instrument und in welcher Klasse die Schüler landen, alle sind sich einig: Diese Musikklassen sind viel cooler als der normale Unterricht. Und auch die Lehrer äußern sich positiv: "Es ist toll, wenn jeder musiziert", sagt etwa Wiesböck. Doch die Belastung für Pädagogen sei hier schon um einiges höher. "Ich bin jedenfalls fertig", lacht der Musiklehrer nach einer Doppelstunde "Derrick"-Titelsong, und auch sein Kollege Engels stimmt zu: "Ich freu mich jetzt auf meinen Cappuccino." Laute, lustige und anstrengende Musikstunden mit Mehrwert - das kann eine Schule also von dem Projekt Klasse-im-puls" erwarten.

© SZ vom 25.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: