Mitten in Zorneding:Und sie zog barfuß von dannen

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Die Gechichte eines rosaroten Slipper-Paars führt zur Kunst des "Sich spontan die Kleider vom Leib reißen und herum laufen"

Kolumne von Elisabeth Urban

Einsame Mützen, die an Zaunpfosten auf ihren ehemaligen Besitzer warten, Schnuller und Schmusetiere, die sich verlassen an Gehwege, Äste und Hecken schmiegen. Immer wieder ist es das Schicksal von Gegenständen aller Art, auf dem Weg von A nach B vom Besitzer unbemerkt zu Boden zu gleiten und dort einsam zurückzubleiben. In Zorneding scheint unweit des Bahnhofs nun jedoch sprichwörtlich jemand aus den Latschen gekippt zu sein: Zwei rosa glitzernde Slipper durchbrechen da die graue Monotonie des Gehwegs.

Nun könnte man meinen, da hätte sich vielleicht ein trotziges Kind entschieden gegen das Tragen von Schuhen gewehrt und die konsequente Mutter beschloss, dass der Heimweg dann eben ohne weitergehen müsse. Dagegen spricht jedoch, dass die Schuhe mindestens Größe 36 sind. Geht man also nicht von einem Kind in der Trotzphase aus, das mit überdimensionalen nackten Füßen auf den Boden stampft, um für die absolute Fußfreiheit zu kämpfen, verlagert sich die Suche nach dem potenziellen Besitzer in eine Altersgruppe, die bereits lesen kann.

Der gewiefte Hobbydetektiv ermittelt daraus den weiteren Zusammenhang zu einem Plakat der Volkshochschulen, das auf der Pöringer Seite des Bahnsteigs das Verb "mbuki-mvuki" vorstellt. Der Ausdruck aus einer der südafrikanischen Bantusprachen beschreibt offensichtlich ein wahres Feuerwerk der Gefühle, denn übersetzt heißt er laut VHS "Sich spontan die Kleider vom Leib reißen und herumtanzen." Man stelle sich vor, die mutmaßliche Schuhbesitzerin liest, noch in der Bahn, besagtes Plakat. Sie ist begeistert von dieser Idee der wahrhaft bloßen Lebensfreude. Als jedoch der Schritt aus der Bahntür sie zurück in die nass-kalte oberbayerische Herbstrealität zurückholt, erkennt sie, dass heute einfach nicht der Tag für ein vollständiges mbuki-mvuki ist, Lebensfreude hin oder her. Zumindest von ihren Schuhen aber befreit sie sich, und während sie barfuß von dannen tanzt, bleiben die rosa Slipper als einsamer Farbklecks zurück.

© SZ vom 12.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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