Mitten in Zorneding:Keine Angst vor krummen Dingern

Ein Flyer im Briefkasten macht erst einmal argwöhnisch. Doch dann geht es doch nur um das unschuldigste aller unschuldigen Lebenwesen

Kolumne von Rita Baedeker

Staunen beim Öffnen des Briefkastens. "Krummedinger" steht da auf einer Postwurfsendung. Und die Ankündigung "Zehn Euro geschenkt". Hoppla! Stellt sich da etwa eine neu gegründete Interessenvertretung der Langfinger vor? Und wirbt mit der Zehn-Euro-Masche um ein bisserl mitmenschliches Verständnis, wenn es sich mal wieder nicht hat vermeiden lassen, dass einer aus der kriminellen Zunft sich die Brieftasche aus einem zufällig vorbeispazierenden Sakko greifen oder den nachts verwaisten Bankautomaten knacken musste? Unter Zurücklassung von jeweils zehn Euro versteht sich! Großes Ganoven-Ehrenwort.

So weit ist es zum Glück noch nicht gekommen. Es geht bei den krummen Dingern auch nicht um böse Buben, sondern um das unschuldigste aller unschuldigen Lebewesen: Es geht ums Gemüse. Genauer: um krumme Karotten, Rote Bete mit Schmiss und Kartoffeln mit ausgeprägter Furunkulose, Gemüse, das ein bisserl anders ausschaut als das in den Auslagen der Supermärkte angebotene.

Zur Anschauung zeigt der Flyer eine Möhre, die mit ihren XL-Kurven und fingerartigen Extremitäten der mythenumrankten Alraunewurzel ähnelt; es könnte sich bei dem drolligen Wesen aber auch um ein innig umschlungenes Paar handeln, beim Liebesakt geerntet sozusagen. Gemüse mit Schönheitsfehlern, so steht es auf der Postkarte, werde weggeschmissen, weil niemand es kaufen wolle. Da haben wir es wieder. Nur der perfekte Body hat Chancen auf dem Markt.

Da ist es höchste Zeit für Solidarität, für eine Rettungsaktion mittels Biokiste, findet der Anbieter. Schließlich zählen nur die inneren Werte - bei Mensch und Gemüse. Und - Augen auf und Taschen zu beim nächsten Einkaufsbummel !- bei der Brieftasche natürlich auch.

© SZ vom 04.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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