Mitten in Zorneding:Evolution in der Obstschale

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Fruchtfliegen scheinen einen Entwicklungssprung gemacht zu haben - sie überlisten uns mit Bravour

Von Rita Baedeker

Im Internet gibt es zahllose Tipps, wie man sich lästiger Fruchtfliegen entledigt. Gerade jetzt im Sommer braucht man bloß ein Stück Obst versehentlich faulig werden, oder eine angebrochene Flasche Rotwein offen herumstehen zu lassen, schwupps, schon sind sie da, allzeit bereit, sich hemmungslos fortzupflanzen. Ob Kastanien, Essigessenz oder Sonnentau, ob Zuckerwasser, Fettkraut oder gar die im Fachhandel vorrätigen Fallen: Angeblich wirken all diese Mittelchen schnell und zuverlässig. Angeblich braucht "Drosophila", wie die Schwirrgeister wissenschaftlich heißen, bloß den Lockstoff wittern, schon stürzen sie sich kopfüber in die gärenden Säfte und gut ist es.

So weit die Theorie. In der Praxis lehrt einen die Natur täglich Neues. Mitnichten sind alle Fruchtfliegen so blöd und ersäufen sich im bereitgestellten Federweißen; das heißt, einige riskieren tatsächlich Kopf und Kragen, aber die anderen hocken allabendlich in Reih und Glied am Rand des Glases, so als wollten sie Totenwache halten bei den weniger glücklichen Kameraden, die auf Nimmerwiederkehr im Essig gelandet sind. Hinterherkrabbeln? Da kannst du lange warten. Fruchtfliegen sind zwar Kulturfolger, aber es gibt schließlich Grenzen.

Auch bei der tückischen Falle in Form eines wurmstichigen Apfels, aus dessen Öffnungen betörender Duft aufsteigt, lassen die Fliegen äußerste Vorsicht walten. Immer wieder umkreisen sie das Ding, wagen sich auch schon mal an das Loch, das in den tödlichen Abgrund führt, schauen hinein, um dann hastdunichtgesehen den geordneten Rückzug anzutreten. Übrigens erspüren sie auch das Herannahen einer menschlichen Hand meterweit und stieben in alle Richtungen auseinander, will man sie etwa mit einem Blatt von der Küchenrolle ins Jenseits befördern.

Vielleicht, so der unabweisbare Verdacht, wird man ja gerade Zeuge eines evolutionären Sprungs: Fruchtfliegen sind lernfähig und stürzen sich nicht mehr kopflos auf alles, was verführerisch riecht. Sind sie da am Ende dem Menschen ein Stück voraus? Lieber lassen sie sich auf einem tarnenden Untergrund nieder oder machen sich in der schwarz beschichteten Bratpfanne quasi unsichtbar, wenn sie sich nicht gerade in der Tageszeitung verbergen. Vielleicht sind sie ja sogar schon in der Lage zu kommunizieren, so dass man ihnen nur mal gut zureden müsste. Und dann: Fenster auf und ab die Fliegenpost! Bis dahin aber geht der Laborversuch erst mal weiter.

© SZ vom 23.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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