Mitten in Markt Schwaben:Kairo in Klein

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Eine gläserne Pyramide als Touristenattraktion könnte der Ausweg aus der Schuldenfalle sein

Von Isabel Meixner

Irgendwann, sagen wir in 100 Jahren, werden die Markt Schwabener Kinder nicht mehr wissen, wie es ist, ohne vergoldete Gehsteige aufzuwachsen. Geschichten von früher, als die Gemeinde finanziell am Abgrund stand, werden sie mit Interesse, aber vor allem mit großem Staunen und Kopfschütteln anhören. Jedes Jahr am 21. April wird es an der Grundschule ein Fest geben, bei dem des Tages im Jahr 2015 gedacht wird, an dem die Weichen für eine millionenschwere Zukunft gestellt wurden: der Gemeinderatssitzung, in der der Bau der Markt Schwabener Pyramide beschlossen wurde.

Funkelnd steht das gläserne Meisterwerk in der Sonne. Busse karren pro Tag Tausende Touristen aus aller Herren Länder herbei, die das neue Klein-Kairo im Münchner Osten bewundern wollen. Die Menschen, die in der Büro-Pyramide im Adalbert-Stifter-Weg eigentlich arbeiten, haben längst eine neue Einnahmequelle entdeckt: Die einen lassen sich mit Japanern und Chinesen vor dem Wahrzeichen fotografieren, während andere Hot Dogs, Glasreiniger und die Baupläne - ganz bestimmt original - auf Papyrusrollen verkaufen. Und der Enkel des Bauträgers erzählt, wie das damals war, als Vorgaben im Bebauungsplan zu Fassadengestaltung, Dachneigung und Geschosszahl das Vorhaben seines Opas fast noch verhindert hätten, und manche Gemeinderäte Zweifel äußerten, das Bauwerk könne zu städtisch wirken und sich nicht in die Umgebung einfügen.

Davon kann hundert Jahre später nicht die Rede sein: Luftlinie zwei Kilometer entfernt liegen die Feluken im Hafen an der Anzinger Sempt und warten auf Touristen, mit denen sie Richtung Forstinning schippern können. In den Ruinen am Habererweg suchen emsige Archäologen nach Fundstücken, die das Gerücht belegen, dass hier einst eine Schule gestanden hat. Angeblich hat es sie selbst im Jahr 2015 noch gegeben, wenngleich sie damals nur für Eingeweihte als solche zu erkennen gewesen sein soll. Der Pyramidenbau hat auch dem lange verkannten asiatischen Laubholzbockkäfer zu ungeahnter Popularität verholfen: Er wird wie der Skarabäus in Altägypten als göttliches Tier verehrt und darf sich munter durch den Ebersberger Forst fressen. Nur ein Tal der Könige gibt es nicht. Denn auch wenn diese Einsicht manchen Lokalpolitikern schwerfallen dürfte: Sie sind halt doch nur kleine Prinzen.

© SZ vom 27.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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