Mitten in Kirchseeon:Das ist Bahnsinn

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Vielleicht sollten die MVV nicht mehr von "Fahrplänen" sprechen sondern von einer "unverbindlichen Abfahrtsempfehlung mit Gleisvorschlag"

Kolumne von Christoph Jänsch

Am Montagmorgen haben einige Fahrgäste der S 6 Richtung Ebersberg mal wieder mehr für ihr Geld geboten bekommen: 45 Minuten zusätzliche Fahrzeit. Während der Winter für die Münchner Verkehrsbetriebe eine unvorhersehbare Naturkatastrophe darstellt, waren die Fahrgäste glücklicherweise darauf eingestellt und mit einer Winterjacke ausgerüstet. Nicht lustig? Sich der Bahn mit Komik zu nähern ist eben anspruchsvoll: Man weiß nie, ob sie ankommt.

Für Pendler ist es jedenfalls ein altbekanntes Thema: Die Bahn-App des Smartphones auf mögliche Verspätungen prüfen - Enttäuschungen gibt es dabei nur selten. So auch gestern. Die S 6, mit planmäßiger Abfahrtszeit 9.42 Uhr in Kirchseeon, versprach, ebenso wie ihre Vorgängerin und ihre Nachfolgerin, sieben Minuten Verzug. Kein Problem. Drei abgefrorene Finger und eine unterkühlte Nasenspitze später ist die versprochene Bahn um 9.49 Uhr tatsächlich in der Ferne zu erahnen. Doch so schnell, wie sie auftauchte, war sie wieder weg. Sie hatte nur kurz Schnee aufgewirbelt - und ließ enttäuschte Fahrgäste in der Wolke zurück. Durchgefahren.

Ein kurzer Blick in die Bahn-App brachte Gewissheit. Aus "Sieben Minuten Verspätung" wurde "Halt entfällt". "Die Bahn hatte vermutlich schon zu viel Verspätung", wird ein Grafinger Fahrdienstleiter später verkünden, auf dessen Büro ein verheißungsvolles Hinweisschild "Information" zeigt. Ob er als Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe wohl die Bahn zur Arbeit nehmen darf oder ob er pünktlich sein muss? Sein Tipp: "Einfach einen Zug eher nehmen." Zuständig sei er jedenfalls ebenso wenig wie ein Gesandter der Deutschen Bahn, der sich am Grafinger Bahnhof mit knallroter Jacke inklusive DB-Logo zu erkennen gibt: "Ich erkläre nur die Automaten."

Genügend Zeit für einen kleinen, wenn auch wenig ergiebigen Plausch also - ist doch der Anschlusszug ohnehin bereits abgefahren. Aber es gibt ja noch immer das Smartphone. Also schnell die Nummer der Kundenbetreuung des MVV herausgesucht und angerufen. Doch die computerbasierte Spracherkennung hatte offensichtlich ein hartes Wochenende und konnte das Gesagte noch nicht verarbeiten. Aus gegebenem Anlass ein freundlich gemeinter Rat: Man sollte das Ganze nicht als "Fahrplan", sondern als "unverbindliche Abfahrtsempfehlung mit Gleisvorschlag" titulieren. Vielleicht sinkt so der Frustlevel.

© SZ vom 20.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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