Mitten in Grafing:Wo das Internet schweigt

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Es ist schon unerhört, dass die Grafinger Ostumfahrung derart neu ist, dass noch nicht einmal Google-Maps von ihr erfahren hat.

Kolumne von Theresa Parstorfer

Das Navigationssystem ist verzweifelt. Hilflos wabert der kleine Pfeil, der die aktuelle Position des Autos markiert, im dunkelblauen Nichts hin und her, irgendwo zwischen zwei winzigen grauen Schriftzügen, die sich "Engerloh" und "Gsprait" lesen. Dort, wo keine Straße sein sollte, ist auf einmal eine Straße. Mit knapp 100 Kilometern pro Stunde rauscht das Fahrzeug auf nigelnagelneuem Beton durch den frühen, aber dunklen Abend. Streng genommen ist die Umgehungsstraße um Grafing herum auch nicht mehr ganz so neu. Google-Maps jedoch kennt sie noch nicht. Und was Google-Maps ebenso wenig kennt, ist eine mögliche Realität, in der es etwas gibt, von dessen Existenz Google-Maps noch nichts weiß. Die neue Grafinger Umgehung stellt also ein nicht lösbares Problem für den digitalen Pfadfinder dar. Nicht einmal das vertraute "Route wird neu berechnet" ertönt. Hier, zwischen Engerloh und Gsprait, schweigt das Internet und die digitale Erfassung der Welt.

Ganz kurz kommt Panik auf. Was tun, wenn auf einmal der unerwartete Kreisverkehr im Licht der Scheinwerfer auftaucht? Sind die Wegweiser vertrauenswürdig? Wird die erste Ausfahrt wirklich ins Stadtzentrum führen? Wie kann man sicher sein, dass man heil ans Ziel gelangen wird, wenn keine beruhigend monotone Frauenstimme verlässlich ankündigt, das Ziel befände sich in 500 - 100 - 50 Metern auf der rechten Seite?

Es gilt, tief durchzuatmen in Momenten wie diesen. Die Welt in und um Grafing ist kein unerforschter Dschungel. Einerseits lässt sich unter Umständen in so manchem Kofferraum so etwas Altmodisches wie eine Straßenkarte aus echtem Papier finden, für den unwahrscheinlichen Fall, dass das Navi auch innerhalb erschlossener Gefilde abseits von dieser unerhört neuen Ortsumfahrung die Orientierung - oder das Netz - nicht wiederfinden sollte. Und andererseits sind da Straßenlaternen, Straßenschilder mit Straßennamen und nicht zuletzt Fußgängerwege. Auf diesen wandelt hin und wieder auch noch zu später Stunde der ein oder andere ortskundige Passant, den man - so ungewöhnlich und beinahe absurd das klingen mag - ansprechen und nach dem Weg fragen könnte.

© SZ vom 20.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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