Mitten in Ebersberg:Mao unterm Kirchturm

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Was Ebersberger mit Chinesen gemeinsam haben? Mehr als man denkt

Von Karin Kampwerth

Mal ganz abgesehen von all den dortigen politischen Irrungen und Wirrungen: China wird nicht nur als Land des Lächelns bezeichnet, weil die Physiognomie seiner Einheimischen immer irgendwie fröhlich wirkt. Vermutlich schreibt man der Nation die freundliche Gesinnung auch deshalb zu, weil die eine oder andere Pflicht schon erledigt wurde, bevor der Tag überhaupt richtig begonnen hat.

Wer schon einmal morgens um sieben durch Peking gelaufen ist, also zu einer Zeit, zu der uns Eric Malpass in seinem Roman aus den 1960er Jahren Glauben machen wollte, dass die Welt noch in Ordnung ist, findet Einheimische vor, um deren Gesundheit es zumindest gut bestellt sein dürfte. So treffen sich die Chinesen gerne in aller Herrgottsfrüh in beachtlichen Mengen in öffentlichen Parks zum gemeinsamen Turnen. Übrigens eine Tradition, die der Große Vorsitzende Mao Zedong seinen Untertanen nahebrachte, in dem er nicht nur die Kulturrevolution verantwortet, sondern 1951 auch die Einführung des morgendlichen Gruppenturnens. Wobei es bei den Leibesübungen an sich nichts zu lachen gab. Die Choreografie der Übungen war streng festgelegt, die Musik kam vom staatlichen Hörfunk. Im Jahr 2008 wurde das Gruppenturnen eingestellt. Peking wollte sich seinerzeit ganz auf die bevorstehenden Olympischen Spiele konzentrieren. Darüber hinaus hatte auch das Interesse der Chinesen an gemeinschaftlichen Dehnübungen nachgelassen.

Die Folgen der vernachlässigten Körperertüchtigung ließen nicht lange auf sich warten. Diabetes, Herzkreislauferkrankungen und der Körperumfang der eigentlich zierlichen Chinesen nahmen zu. Bis der chinesische Gewerkschaftsverband ein Einsehen hatte: Die Morgengymnastik ist zumindest in staatlichen Betrieben wieder Pflicht - und hat seinen Weg offenbar bis nach Ebersberg geschafft. Nun gut, nicht ganz am frühen Morgen, aber beispielhaft ist die Bewegung wenigstens in der Mittagspause. Zu dieser traf sich ein Grüppchen - der Bekleidung nach zu schließen - Büromenschen am Montagmittag in der Jesuitengasse unterhalb der Pfarrkirche. Auf einer frisch gemähten Wiesen bildeten die Sieben einen Kreis, reckten und streckten sich, drehten abwechselnd die Arme und wippten auf den Zehenspitzen, um nach einem halben Stündchen mit Sicherheit gut erholt mit einem Lächeln auf den Lippen an den Schreibtisch zurückzukehren. So ist in Ebersberg die Welt zwar - nicht ganz nach Maos und Malpass' Sinn - um sieben, aber wenigstens für diese Sieben sicher in Ordnung.

© SZ vom 17.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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