Mitten in Ebersberg:Gekritzel mit Nervenkitzel

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Die Wandmalereien entlang der S-Bahn-Strecke bestechen durch politische Unkorrektheit - mit einigen Ausnahmen

Kolumne von Clara Lipkowski

So eine Fahrt mit der S-Bahn von München nach Ebersberg gleicht einer Werkschau bunter Wandmalerei. Dort, wo die Trasse mehrgleisig ist, zieren Graffiti die sonst schlichten Lärmschutzwände. Das ist recht unterhaltsam, obwohl sich einige Motive wiederholen, so wie der Schriftzug "Durst" in leuchtendem Türkis oder ein Truthahn, der wie für einen Comic gezeichnet aussieht. An einer Stelle hat ein Künstler fein säuberlich unter eine braune, lamellenähnliche Wand gesprüht, vielleicht hätte es sein ästhetisches Empfinden gestört, die noch so saubere Fläche zu verzieren?

Dabei haben Graffiti längst ihren Nimbus des Alternativen, Illegalen, des bei Nacht und Nebel Geschaffenen verloren und wurden zu moderner Kunst erklärt. Es gibt ganze Stadtteile, die per Sprühdose gestaltet wurden. Und Jugendprojekte mit international tätigen Sprayern, die auf ausdrücklichen Wunsch von Gemeinden Bahnunterführungen künstlerisch gestalten. In Kirchseeon gab es eine solche Zusammenarbeit mit einer Schule.

Dass nun die Werke, die in Zorneding, nur zwei Stationen weiter die Wände zieren, pädagogisch wertvollen Absichten dienen, mag man aber anzweifeln. Dort heißt es in knallroter Leuchtschrift: "Smoke weed everyday". Dieser Appell taucht am Ende eines Songs von US-Rapper Snoop Dogg aus dem Jahr 1999 auf. Er und zwei andere Musiker raten in dem Song nicht nur zum täglichen Konsum von pflanzlichen Substanzen, sondern auch zum Genuss von hochprozentigen Kaltgetränken. Im Video dazu treten Frauen als Spielobjekte auf, von denen man fast alles sieht, nur die Gesichter nicht. So viel politische Unkorrektheit kann nicht von einer Gemeinde gefördert sein. Hier war einer am Werk, der einem aus der Zeit gefallenen Rapper huldigt und den Nervenkitzel sucht, zu sprühen, wo Regionalzüge ohne Halt durchrasen.

Ein paar Meter weiter heißt es "Bier trinkt das Volk" - der Anklang an den Slogan der DDR-Montagsdemonstrationen ist gewollt - hat aber in dieser Form wenigstens nichts mit Pegida zu tun, die den Satz dummerweise aufgegriffen hat. Anderswo macht ein Sprayer seiner Abneigung gegenüber einem Fußballverein mit einem Schimpfwort Luft, das man hier unmöglich zitieren kann. Liebesbekundungen wie "Sandra, heirate mich", sucht man vergebens. Doch auch fürs Herz gibt es eine Botschaft an dieser künstlerisch wertvollen S-Bahn-Strecke. "Fürchtet euch nicht" steht in Schwarz auf Orange in Eglharting und baut den S-Bahn-Passagier moralisch auf.

Wer dann davon beseelt in Ebersberg aus dem Zug steigt, muss nicht lang suchen, bis ihm die nächste Botschaft ins Auge springt: Am Zigarettenautomaten am Bahnhof mahnen die mit Edding verfassten Lettern eines Weltverbesserers: "Keine Kippen kaufen!!!" Protestkunst hin oder her - hier wird es jetzt aber wirklich zu bunt.

© SZ vom 19.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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