Mitten in Ebersberg:Anarchie in der Altstadt

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Bisher gab es ein kleines Fleckchen in der Ebersberger Innenstadt, wo man sich mehr Freiheiten nehmen durfte als anderswo. Doch damit ist es nun vorbei

Kolumne von Wieland Bögel

Das Neuland ist ja neuerdings etwas ins Gerede gekommen, als etwas, das eigentlich gar nicht neu ist, aber von Leuten dafür gehalten wird, die selbst nicht mehr so neu sind. Dabei ist das Neuland ursprünglich der Inbegriff für Freiheit, Abenteuer und Anarchie, bis heute präsent in etwa den Genres des Western oder des Piratenfilms. Denn wo Land oder Meer ganz neu - oder zumindest neu entdeckt - sind, hat das Gesetz die neuen Gefilde vielleicht noch nicht gefunden, was coltschwingende Outlaws und säbelfuchtelnde Korsaren weidlich zu ihren Gunsten auszunutzen verstehen. Beziehungsweise verstanden, denn auch in diesem Bereich schwinden die Biotope und mit ihnen deren Bewohner: Es gibt einfach kein echtes Neuland mehr, das von Abenteurern besiedelt werden könnte - außer man ist in Ebersberg.

Dort ist vor fast genau sechs Jahren tatsächlich neues Land außerhalb von Recht und Gesetz entstanden: die Altstadtpassage. Wer jetzt einwirft, dort noch nie herumlungernde Cowboypferde und falsch geparkte Piratenschiffe bemerkt zu haben, hat zwar einerseits recht - andererseits wäre dies wohl nur eine Frage der Zeit gewesen. Denn, wie sich kürzlich herausgestellt hat, ist die Altstadtpassage gesetzlose, oder besser satzungslose Zone. Für den Rest der Innenstadt gilt nämlich die "Satzung über die Benutzung des Marienplatzes, öffentlicher Grünanlagen sowie der Buswartehäuschen der Stadt Ebersberg", und der Name ist Programm. Nur eben nicht für die Altstadtpassage, denn als die Satzung 1995 in Kraft trat, gab es sie ebenso wenig wie bei der bislang letzten Aktualisierung im Jahr 2001. Demzufolge ist es dort weder verboten, ohne Genehmigung der Stadt zu nächtigen, zu lärmen oder gar zu randalieren - wobei man Letzteres nun wirklich nur unter Zudrücken beider Augen als Sondernutzung werten kann.

Weshalb man nun im Technischen Ausschuss des Stadtrates ohne Debatte und Gegenstimmen die Satzung auf den Bereich der Altstadtpassage ausdehnte. Lärmende Cowboys und Piraten wird man dort trotzdem weiterhin zu sehen und hören bekommen - spätestens am 25. Februar, beim nächsten Faschingszug.

© SZ vom 23.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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