Mitten in der Region:Auf Zeitreise

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Wie eine Mutter ihrem Sohn ein Telefon mit Wählscheibe erklärt und dabei ganz nostalgisch wird

Kolumne von Alexandra Leuthner

Neulich war es, als eine Mutter zweier halbwüchsiger Söhne versuchte, die Playstation in ihrem Wohnzimmer auszuschalten - Klimaziele erreichen, Stromsparen, Sie wissen schon. Für alle zu früh Geborenen: Playstation, kurz PS, ist so ein flaches, futuristisch aussehendes Plastikding, das keine Knöpfe hat, sondern lediglich einen umlaufenden Spalt. Wollte man früher etwas ausschalten, sagen wir, ein Transistorradio oder einen dieser Kassettenrekorder, die vor allem dafür gut waren, freitagabends die Schlager der Woche aufzunehmen, suchte und fand man für gewöhnlich einen Knopf oder Schalter oder Rädchen. Einmal drücken oder drehen, dann ging das Licht aus, so einfach war das.

Nun ist die PS natürlich viel mehr als ein Gerät. Sie ist Spielzeug, Tor in andere Welten, Kommunikationsmedium. Mit ihrer Hilfe kann man fast lebensechte Fußballspieler über den Bildschirm laufen lassen und Comicfiguren die Welt retten, Fernsehschauen, eine Fake-Gitarre umhängen und so tun, als wäre man Teil von The Who - 'tschuldigung, der Imagine Dragons. Sie ist fast so vielfältig wie ein Smartphone, auch so ein Spielzeug, mit dem man telefonieren, facebooken, twittern, instagrammen, auf Safari gehen, Musik hören, fotografieren, mit Freaks in aller Welt Ritterspiele spielen oder Videos von seinen eigenen Füßen posten kann. Die PS ihrerseits kann sicher auch Kontakt zu Außerirdischen aufnehmen, und, wer weiß, vielleicht sogar kochen.

Nur einfach ausschalten, das kann man sie nicht. Die Mutter holte also jenes ihrer Kinder zu Hilfe, das gerade verfügbar war. Von dem Neunjährigen bekam sie ein leicht genervtes "ach Mama", hingerieben. Der Filius griff zielsicher nach der Fernbedienung - des Fernsehers! -, der offenbar erst eingeschaltet werden muss, um die PS ordnungsgemäß auszuschalten. Dann nahm er den Controller - dessen Anschlusskabel am anderen Ende in dem erwähnten Spalt verschwindet - schob hier flink einen Hebel nach oben, einen anderen nach unten, ein Knöpfchen hier, eines da, während auf dem Fernsehbildschirm in scheinbar wilder Folge verschiedene Bedienungsoberflächen auftauchten und verschwanden. Dann war plötzlich alles schwarz. "Schau, so einfach ist das!" Wohlwollend klopfte er seiner Mutter auf die Schulter und ließ sie stehen. Leer im Kopf und alt im Herzen.

Kurz darauf, so wurde berichtet, tauchte ein altes Kinder-Telefon auf, versteckt unter einem Haufen von Kassetten und mindestens so alt wie der dazugehörige Rekorder. Das Telefon von Fisher-Price hat vorne ein Lachgesicht, blaue Plastikräder und einen echten Hörer, der an einem Kabel hängt. Nix zum Drüberstreichen, dafür aber eine Wählscheibe, die bei jeder Umdrehung laut "rrrring" macht. Mit dem Spielzeug in der Hand stand der Filius in der Tür und fragte: "Mama, wie lang muss ich denn das Ding drehen? Wie weiß ich denn, welche Zahl es wählt? Und wo werden die Nummern gespeichert?!"

Genüsslich erklärte sie das Funktionieren der Wählscheibe und hörte noch tagelang das "rrring, rrrring, rrring" durchs Haus hallen. Sechsstellige Nummern von längst still gelegten Anschlüssen im Kopf vor sich her sagend und Zufriedenheit im Herzen. So einfach ist das.

© SZ vom 02.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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