Mitten in der Region:Attacke kurz vor Mitternacht

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Einer der Vorteile des Winters ist, dass sich lästige Insekten in den kalten Monaten nicht blicken lassen. Doch plötzlich taucht eine Wespe auf - und geht ihrem nervtötenden Handwerk nach

Glosse von Alexandra Leuthner

Heute sprechen wir über Fotosynthese. Das ist diese Geschichte mit dem Kohlendioxid und dem Sauerstoff, die in grüne Blätter hinein und wieder herausströmen. Wie auch immer das funktioniert und warum, hat seine Erklärung in tieferen, vermutlich biochemischen Zusammenhängen, die sich wenig naturwissenschaftlich begabten Schülern vermutlich in den 70ern, den 80ern und den 90ern genauso wenig erschlossen haben wie in allen anderen Jahrzehnten. Es ist halt so. Im Sommer wird das Blatt grün, atmet, sieht schick aus und sorgt netterweise dafür, dass wir Zweibeiner auf diesem Planeten ordentlich Luft holen können - noch, aber das ist eine andere Geschichte.

Und dann naht der Winter, zumindest war das bisher so, und die immer tiefer in den Sümpfen des Herbstes versinkende Sonne verwandelt das modisch bunte Sommeroutfit der Natur in braunes Sackleinen, das noch für eine Weile zum Trocknen in der Luft hängt und dann wie ein ausgedientes Laken am Boden verdreckt. War diese alljährliche Zumutung schon immer ein Affront gegen ästhetisch anspruchsvolle wie auch zart besaitete Gemüter, so hatte der novemberliche Zerfall zumindest ein Gutes: Mit den Blättern, Blüten und Früchten der fotosynthetisierenden Natur verschwand auch das Gebrumm und Gesurre lästigen Kleingetiers, das sich gern auf Zwetschgendatschis, Schinkenbrötchen oder nackter Haut niederließ und bewaffnet mit mehr oder weniger gefährlichen Stechwerkzeugen seiner Bestimmung einer penetranten Heimsuchung gerecht wurde. Doch kaum kam die Kälte, war's das. Aus damit. Endlich! Zwar drohten statt juckender Pusteln und allergischer Schwellungen nun Frostbeulen und gefrorene Nasen, aber egal, das Insektenvieh war weg.

Bis zu diesem Tag im Dezember, kurz vor Mitternacht, als eine Wespe, die, allen Naturgesetzen und der Genetik ihres Familienstammbaums trotzend, in einer Jogginghose überlebt hatte, zustach. Einmal. Zweimal. Dann wurde sie entdeckt und in die Flucht geschlagen. Besser gesagt, dorthin geschickt, wo sie hingehört zwischen Nikolaus und Weihnachten - in die ewigen Jagdgründe. Mitleidlos und - fast - gewissenlos. Draußen hätte sie ohnehin nicht überlebt, weil viel zu kalt und keine Fotosynthese. Hoffentlich hat das Miststück in dieser Jogginghose nicht noch lebende Verwandte!

© SZ vom 16.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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