Mitten im Forst:Vorbildlich unterwegs

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Der Landkreis hat ein besonderes Verhältnis zum Bären - deshalb wäre er doch ein idealer Lebensraum für das Tier, das sich anscheinend in Bayern ansiedeln will

Kolumne von Alexandra Leuthner

Dass die Reise einem Spiel mit Gewinn und Verlust gleiche, hat einst Johann Wolfgang von Goethe geschrieben. Vor allem die Sache mit dem Verlust - des Lebens nämlich -, hat einer erfahren müssen, der 200 Jahre nach dem großen Dichterfürsten gereist ist: "JJ1" nannte man ihn. Klingt weniger romantisch als technokratisch, und doch ist der Reisende unter diesem Namen sogar bis über den großen Teich hinweg bekannt geworden - dort als Jay-Jay-One buchstabiert, was sich viel besser anhört. Nun ist JJ1 nicht die neueste Version von C3PO oder R2-D2 - die Älteren unter uns werden sich an diese humanoid agierenden Frühformen von KI erinnern. Nein, JJ1 ist der Sohn von Joze und Jurka, und weil er ein Bär und so schön braun war, kennen ihn die meisten heute unter dem Namen Bruno. Die Reise des Sohns slowenischer Eltern ist ja längst zu Ende gegangen. Dummerweise ist der gerade mal Zweijährige 2006 dem damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber gewissermaßen vor die Verbal-Flinte geraten, und der hat ihn in einer weniger als zehn Minuten dauernden Argumentationssalve vom Schadbären zum Problembären gemacht, sturmreif geschossen und dann zum endgültigen Abschuss freigegeben. Heute ist der ewige Bruno nicht mehr Problem- sondern Stopf-Bär und dazu verdammt, im Münchner Museum Mensch und Natur in immer gleicher Pose umstürzenden Bienenkörben hinterher zu steigen.

Nun hat sich, allen Risiken zum Trotz, wieder ein Braunbär auf den Weg gemacht, er wandert gewissermaßen auf Brunos Spuren. Vor kurzem hat er zum ersten Mal die bayerisch-österreichische Grenze übertreten. Um potenziell überreagierenden Landespolitikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, hat der Landesbund für Vogelschutz das Verhalten dieses Bären gleich mal als absolut unauffällig eingestuft, ja ihn geradezu zum Vorbild-Bären erklärt. Wäre ein solch angenehmer Zeitgenosse nicht vielleicht eine Bereicherung für die Fauna des Ebersberger Forsts? Schließlich schmücken zwei seiner Vorfahren sogar Gemeindewappen im Landkreis. Grafing im Süden und Pliening im Norden haben sich je einen Bären zum Vorbild genommen. Wie genau der Bär aufs Schild kam, weiß man, in Grafing zumal, nicht ganz genau zu sagen. In Pliening lässt sich das stolz schreitende Wappentier auf das Adelsgeschlecht der Nanshaimer zurückführen. Wo jene Adligen allerdings in der Weite der Schotterebene auf Meister Petz gestoßen sein könnten, entzieht sich der Kenntnis der Historiker. Doch wer weiß, vielleicht hat tatsächlich vor 1000 Jahren mal ein Vierbeiner solch eine Reise getan und ist dabei ausgerechnet in Pliening und Grafing vorbei gekommen. In Zeiten von Rittern und Kreuzzüglern aber war das Reisen noch weit gefährlicher als heute, und so wird er wohl, vorbildlich oder nicht, auch nicht alt geworden sein.

© SZ vom 26.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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