Mitten im Bus:Träume im Nebel

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Wer mit Kindern Bus fährt, kann phantastische Sehenswürdigkeiten entdecken

Von Anja Blum

Man dürfe nicht verlernen, die Welt mit den Augen eines Kindes zu sehen, soll der französische Maler Henri Matisse einmal gesagt haben. Doch was bedeutet das eigentlich, die Welt mit Kinderaugen zu betrachten? Ein wenig Licht ins Dunkel bringt eine Busfahrt durch den südlichen Landkreis, das große Gefährt ist voll mit Kindergartenkindern aus Grafing. Auf dem Programm steht die Besichtigung einer Mühle, die Kleinen sollen dort mit eigenen Augen sehen, wie Korn zu Mehl gemahlen wird.

Da die Hauptstraße jedoch an diesem Tag gesperrt ist, muss der Bus allerhand Schleichwege fahren. Durch kleine und kleinste Weiler, über schmale Straßen und durch enge Kurven manövriert der Fahrer routiniert das riesige Gefährt. An den Fenstern ziehen Dörfer, Wiesen, Felder und Wälder vorbei, die Landschaft ist an diesem Morgen allerdings verhangen von einem dichten Nebenschleier. Das hält die Kinder freilich nicht davon ab, sich die Nasen an den Scheiben platt zu drücken und Ausschau zu halten nach allerhand Sensationellem. Und wer auch immer etwas entdeckt, schreit das freilich gleich aus vollem Halse heraus. "Da sind Pferde!", ruft es von vorne, auch die ersten Kühe, Traktoren und Schafe sind schnell gesichtet. Will man als Erwachsener jedoch auch mal einen Blick auf die Tiere erhaschen, so ist es meist schon zu spät. Nichts als waberndes Weiß über grünen Flächen bietet sich dem angestrengten Auge.

Und je länger die Fahrt dauert, desto abstruser werden die Entdeckungen der Kinder: Hirsche und Rehe will ein Mädchen gesehen haben, als nächstes ist der Fuchs an der Reihe, der Wolf darf freilich auch nicht fehlen. So langsam keimt daher der Verdacht auf, dass die kleinen Businsassen in der vernebelten Umgebung eigentlich fast gar nichts wahrnehmen - sich vielmehr offenen Auges ihren Wünschen und Träumen hingeben. Wie wär das schön, jetzt ein Pferd zu sehen! Außerdem will man ja nicht hintenanstehen, wenn der Sitznachbar dauernd so spannende Dinge erzählt.

Derlei kritische Betrachtungen werden jedoch jäh unterbrochen, als die eigene Tochter ruft: "Schau mal, Mama, ganz viele Rehe!" "Ja,ja", denkt die Mutter, und schaut pro forma aus dem Fenster. Und da, tatsächlich: Ganz hinten am Waldrand steht eine Herde, mindestens 30 Tiere. Ganz bestimmt!

© SZ vom 07.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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