Livehörspiel im Kaufhaus:Ein Stück neuen Horizont geschenkt

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Sagenhaftes Spektakel vom Theater Wasserburg: Frank Piotraschke alias Käpt'n Blaubär sowie seine unerschrockenen Reisebegleiter. (Foto: Christian Flamm/oh)

Mit den "13 ½ Leben des Käpt'n Blaubär" katapultiert das "Theater Wasserburg" das Genre der Lesung in eine völlig neue Dimension

Von Ulrich Pfaffenberger, Zamonien

Um die Welt ist er gereist, unser Held. Wo ihm Schauerliches widerfuhr und Seltsames begegnete. Wo er größte Gefahren geschickt meisterte und den Schlägen des Schicksals wundersam entrann. Schaumgeboren, auf einer Nussschale dem Ozean übergeben, von Wellen und Winden dahingetrieben, nahm er das ihm zugeworfene Leben in die Hand und erwies sich als Held. Lauschen wir seinen Erzählungen, staunen wir über seine Taten und raunen wir uns zu, was unausgesprochen bleiben muss. Keine Gestalt aus antiken Sagen ist's, von dem hier die Lieder klingen, sondern einer, uns allen seit Kindesbeinen bekannt: Käpt'n Blaubär. Vorgeblich der Fantasie des Schriftstellers Walter Moers entsprungen. Aber können wir uns da ganz sicher sein?

So, wie er da vor uns steht mit Lotsenmütze und in Gummistiefeln, am Sonntagnachmittag in der Event-Etage des Innkaufhauses Wasserburg, so ist es nicht der Schauspieler Frank Piotraschke, der "Die 13 ½ Leben des Käpt'n Blaubär" vorträgt, sondern der legendäre Seemann selbst. Was er mit uns teilt, sind viele lose Enden einer Biografie, wie sie kein zweiter auf den sieben Meeren die seine nennen darf. Dieser Held verknüpft sie geistreich und augenzwinkernd, flott durch die Untiefen schippernd, zu einem dicken Garn, das uns gefangen nimmt von der ersten Minute an und das keiner loslassen will die nächsten zwei Stunden hindurch. Eine "Sommerlesung" hatte das Theater Wasserburg angekündigt - aber dieser Käpt'n braucht kein Buch, er erzählt frisch und frei von der Leber weg. Denn er hat ja alles selber erlebt: die Zwergpiraten, die rückgratlosen Klabautergeister, die süße Wüste und den Sturz ins Dimensionsloch, bei dem man in alle Richtungen zugleich fällt und auch noch rückwärts durch die Zeit. Odysseus und Münchhausen sind Waisenknaben gegen diesen Meister der Abenteuergeschichte. Wobei das wahre Heldentum darin besteht, den größten Teil der Vorführung bei tropischen Temperaturen im Südwester zu absolvieren.

Diese Nähe zum Stück und seinen Rollen, das distanzlose Miteinander der Schauspieler mit dem Publikum im gemeinsamen Durchleben eines Stoffs: Darauf kann man sich in Wasserburg stets verlassen. Am intensivsten ist es dann, wenn die Stücke gegen den Strom schwimmen, die Themen sich gegen Denkfilter sperren und der Autor Spielraum gewährt. Dann erhalten selbst Figuren, die durch jahrzehntelange Präsenz ihr Stereotyp vermeintlich schon weghaben, neue Lebenskraft. Wer sich als Zuschauer darauf einlässt, bekommt jedes Mal wieder ein Stück neuen Horizont geschenkt. Die "13 ½ Leben" liefern reichlich Nährstoff, mit dem die Schauspieler ein mitreißendes Hörstück in ein sagenhaftes Spektakel verwandeln. Ein Opus, das mit Sätzen wie "Ich roch das Gefühl, zuhause zu sein" das Spektrum sinnlicher Wahrnehmung aufbricht, das kann auch Geräusche sichtbar machen und verschlüsselte Gedanken in Signale umwandeln.

Wie es sich an Bord gehört, ist für dieses kunstvolle Dahinsegeln im Grenzbereich zwischen Fantasie und "einfach Unglaublich" die geschlossene Mannschaftsleistung verantwortlich. Auch wenn optisch der Käpt'n im Vordergrund steht, braucht es doch die Talente an Ruder und in der Takelage, um den flotten Kurs zu wahren, den der Autor vorgibt. In Wasserburg haben sich Susan Hecker, Annett Segerer, Regina Alma Semmler und Hilmar Henjes zu Blaubärs Reisebegleitern zusammengefunden, eine vortreffliche Mischung aus Geräuschkulisse und antikem Chor. Mit Bürsten bringen sie das Meer zum Rauschen, ein Geschirrhandtuch wird zum flatternden Segel, pfeifende Luftballone und knirschende Ventile vereinen sich zur stürmischen Kakofonie. Wild und leidenschaftlich lassen sie den Pterodactylus Salvatus, vulgo: vagabundierenden Rettungssaurier, durchs Unterholz stampfen und die heimtückische, als einladende Insel getarnte Schlingpflanze der Gattung Gourmetica Insularis vor sich hin rülpsen, dass es eine wahre Freude ist. Zur Höchstleistung läuft das Quartett auf, als Tarantula Valkyria, die Waldspinnenhexe, den armen Blaubär in ihr tückisches Netz lockt, in dem sich dann ein titanenhafter Kampf, ja, entspinnt. Zu Recht haben die Vier einen Notenständer vor sich stehen, das, was sie hier liefern, ist schlicht sinfonisch.

Walter Moers hat dieser Welt ein zweites Universum geschenkt - von dem Zamonien vermutlich nur das Weiße im Auge eines Schwarzen Loches ist. Das Wasserburger Theater packt uns bei Herz und Hand, um uns tief in die dort tobenden Strudel hineinzuziehen. Dafür begeisterter Applaus.

"Käpt'n Blaubär" als Hörspiel: Weitere Aufführungen am 2. und 3. August um 20 Uhr sowie am 5. August um 17 Uhr in der Event-Etage des Innkaufhauses. Karten unter www.theaterwasserburg.de

© SZ vom 31.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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