"Wir Knaben und Mädchen haben kleine weissundblaue Fänchen erhalten, womit wir das erste Postautomobil begrüssen durften. (...) endlich kam es dann doch noch über die Kurve beim Schmied daher und krachte und staubte und trompetete, dass niemand hineinging in die Strasse. (...) Alle schaugten hin, weil sie meinten, es sei ein Wunder. Als der Wagenlenker ausstieg, brachte ihm der Postwirt gleich eine halbe Bier und ein paar Weiswürscht, dass er sich von der Anstrengung erholen kann, worüber er sich sehr erfreute, dann puzte er seine grosse Automobilbrille mit einem Hadern, weil sie vom vielen fahren sehr voll Staub war."
Eine Hauptaufgabe von Historikern ist es, geeignete Quellen zu finden, was sich allerdings oftmals schwierig gestaltet. Ist in den Archiven, in Dokumenten oder Zeitungen nichts zu finden, kann sich auch ein Schulaufsatz als wahrer Schatz erweisen, zumal, wenn der junge Autor ein so guter Beobachter ist wie Max Böhm aus Anzing. Der damals 12-Jährige musste 1913 seine Eindrücke von der Ankunft des ersten Postautos im Nachbarort schildern: Am 1. März wurde die neue Motorpostlinie von Feldkirchen nach Hohenlinden in Betrieb genommen - ein feierlicher Akt mit Honoratioren aus München, Blumenschmuck und Volksfeststimmung entlang der Strecke.
Dabei entstand auch ein Foto, das viele Hohenlindener in Sonntagstracht und Paradeuniform zeigt. Erst vor zwei Jahren entdeckte es der Hohenlindener Museumsleiter Rolf Kaiser im Besitz einer Familie - was Historikerin Cornelia Oelwein aus Ilmmünster nun zum Anlass nahm, sich der Geschichte der Post in Hohenlinden zu widmen. Das Foto sei nämlich "nicht nur ein reizendes ortsgeschichtliches Dokument, sondern zudem das beredte Zeugnis eines einschneidenden Wandels" - von der Postkutsche zur Motorpostlinie nämlich.
Perlen aus der Vergangenheit wie diese sind im neuen Jahrbuch des Historischen Vereins für den Landkreis Ebersberg zu finden, das dieser am Dienstag, 11. Juli, auf seiner Jahreshauptversammlung präsentiert. Unter dem Titel "Land um den Ebersberger Forst. Beiträge zur Geschichte und Kultur" ist es wieder einmal gelungen, eine Fundgrube samt Lesevergnügen für alle historisch Interessierten zusammenzustellen. "Sensationen" seien darin freilich nicht zu finden, sagt Kunsthistoriker Gerald Dobler aus Wasserburg, der den Band vorstellen wird. Doch das sei auch gar nicht das Ziel einer solchen Publikation. "Es geht darum, interessante Erkenntnisse zur Lokalgeschichte festzuhalten - und sei es nur, damit später jemand darauf zurückgreifen kann."
Um klassische Chronistenarbeit geht es diesmal in zwei Aufsätzen: Martin Ziller blickt auf 1200 Jahre Dorfen bei Aßling zurück, und der Taglachinger Hans Huber stellt den früheren Brucker Bürgermeister Josef Baumgartner vor, der mit seinem lange Zeit wenig beachteten Gemeindebuch (1888) dem Ort etwas überaus Wertvolles hinterlassen hat.
Überhaupt gleichen einige der Aufsätze historischen Porträts: "Vater und Sohn von Hofstetten auf Falkenberg" präsentiert Peter Maicher aus Pöring als Repräsentanten der Zeitenwende um 1800. Und in zwei weiteren Beiträgen ruft der vormalige Landtagsdirektor ebenfalls historische Persönlichkeiten in Erinnerung: Zum einen den fast in Vergessenheit geratenen Münchner Opernsänger Franz Vogel, der sich 1904 am Höglsteig über Moosach eine Villa, das "Sibyllenheim", errichten ließ; zum anderen den Historiker Günther Flohrschütz, der mit seinem Werk über den Adel des Ebersberger Raumes im Hochmittelalter (1989) eine unverzichtbare Forschungsgrundlage schuf - und dieses Jahr 100. Geburtstag hätte feiern können. An der Komturei Eichbichl aufgehängt porträtiert der Historiker Thomas Freller aus Jagstzell den Malteserritter Friedrich Graf von Preysing und dessen Karriere in seinem Orden.
Mit einem Thema ohne "Hauptfigur" befassen sich neben Oelweins Postgeschichte die Vaterstettener Kunsthistorikerin Brigitte Schliewen und der Unterhachinger Geschichtsforscher Günter Staudter. Schliewen schreibt über Holzhandwerker, über Kistler, Schreiner und Schnitzer, die im ausgehenden Mittelalter für das Kloster Ebersberg tätig waren, Staudter widmet sich den Motiven für den Bairischen Bauernaufstand von 1705. Denn: "Wenige Ereignisse hatten einen so starken publizistischen Nachhall. Dabei bekundete fast jeder Autor auch seine persönliche Ansicht über die Ursachen." Staudters Auswertung der umfangreichen Quellen ergibt, dass bei "einer der größten Katastrophen der bayerischen Geschichte" patriotische Gründe, wie sie ein Jahrhundert später zur Hauptursache hochstilisiert wurden, kaum eine Rolle spielten, sondern vielmehr soziale Spannungen ausschlaggebend waren: Vor allem die Landbevölkerung habe unter Benachteiligung und Bevormundung, unter Zwangsrekrutierungen, den Exzessen der Besatzungstruppen und mangelnder Bildung gelitten.
Jahreshauptversammlung des Historischen Vereins für den Landkreis Ebersberg am Dienstag, 11. Juli, um 19.30 Uhr im Landratsamt. Das Jahrbuch ist ab nächster Woche beim Verein, im Museum der Stadt Grafing sowie in den Buchhandlungen des Landkreises für 19,90 Euro erhältlich.