Lebensformen:Wie man einen alten Baum verpflanzt

Lesezeit: 3 min

Franziska Miroschnikoff von der Landesseniorenvertretung, Poings Bürgermeister Albert Hingerl, Sabine Wenng von der Koordinationsstelle Wohnen im Alter, SPD-Abgerodnete Doris Rauscher, Maria Sommer von der Hausgemeinschaft 60+ und Helmut Sloim von der Arbeitsgemeinschaft Bergfeld sprechen über Wohnformen im Alter. (Foto: Chistian Endt)

Bei einer Gesprächsrunde mit Experten in Poing diskutiert Doris Rauscher mit mehreren Experten über Wohnen im Alter. Ihr gemeinsames Ziel: Ein jeder soll auch als Senior leben können, wie er möchte

Von Franca Wittenbrink, Poing

Ob Wohngemeinschaft, Seniorenheim oder umgebautes Haus: Das passende Wohnmodell im Alter ist nicht nur eine Frage von Notwendigkeiten und der Finanzen, sondern auch der persönlichen Bedürfnisse. "Wie wollen wir wohnen? Und wie lassen sich diese Wohnideen umsetzen?" Um diese und andere Fragen zu diskutieren, lud die Ebersberger Abgeordnete und seniorenpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion Doris Rauscher am Montagabend zu einer Gesprächsrunde unter dem Titel "Wohnformen im Alter - von der Idee zur Umsetzung" ein. Neben den fünf geladenen Experten fanden sich etwa 50 bis 60 interessierte Zuhörer im Poinger "Onkel Ivo" ein - so gut gefüllt war der Raum, dass sogar noch Stühle hinzugeholt werden mussten.

"Der große Zulauf spricht für die enorme Bedeutung des Themas", begrüßte Doris Rauscher gegen 19 Uhr das Publikum, unter das sich neben dem Markt Schwabener Bürgermeister Georg Hohmann auch Bundestagsabgeordneter Ewald Schurer (beide SPD) gemischt hatte - Wahlkampf hin oder her. Für Doris Rauscher eine große Freude, denn genau das sei ihr Ziel: "Wir müssen möglichst viele Multiplikatoren erreichen, die das Thema in die Fläche tragen." Etwas enttäuscht äußerte sie sich daher über die Absage von Staatssekretär Johannes Hintersberger (CSU), den sie nach einigen Meinungsverschiedenheiten im Bayerischen Landtag bewusst eingeladen hatte: "Vonseiten der Landesregierung wird ja immer alles ganz rosig gemalt", so Schurer, "aber gerade bei uns im Landkreis muss ich bei diesem Thema widersprechen: es zwickt!"

Ein Viertel der Bayern sei bereits über 65, so Rauscher, Tendenz steigend. Die große Mehrheit davon würde im Alter gerne in den eigenen vier Wänden wohnen bleiben - und genau da liege das Problem: In Bayern fehle es an etwa 150 000 altersgerechten Wohnungen, ganze 40 Prozent des Bedarfs seien also nicht gedeckt.

"Aber es gibt auch Alternativkonzepte", so Rauscher weiter: "Der Trend geht ganz klar in Richtung Hausgemeinschaften." In München etwa werde gerade ein Mehrgenerationenprojekt getestet, um Jung und Alt zusammenzubringen. Dabei stellten Rentner in einer Art Tauschgeschäft ungenutzte Räume für Studenten zur Verfügung, ein 20 Quadratmeter großes Zimmer bedeute dann zum Beispiel 20 Stunden Hilfe im Garten, beim Einkaufen oder am Computer. Das sei ein Gewinn für beide Seiten, so Rauscher, "und der nette Ratsch bei Kaffee und Kuchen schützt vor der Vereinsamung im Alter." Eine Zuschauerin begann vergnügt zu schmunzeln, das Publikum schien gut aufgelegt: "Vereinsamung? Bei uns in Poing doch nicht!"

Es gebe auch andere Konzepte, fuhr Schurer fort. So erführen beispielsweise die vom Bund geförderten Senioren-WGs vor allem in Bezug auf Demenz-Erkrankungen sehr gute Rückmeldungen. "In Ebersberg haben wir bisher noch kein einziges Modell dieser Art. Das wäre doch mal eine Idee!" Vorsichtiges Kopfnicken im Publikum, warum eigentlich nicht. Dann kamen die Experten zu Wort. Sabine Wenng von der Koordinationsstelle Wohnen im Alter betonte vor allem die unterschiedlichen Facetten der Wohnmöglichkeiten: "Die alte Bäuerin vom Hof bekommen Sie natürlich nicht in ein Mehrgenerationenhaus. Man muss für jeden das Richtige finden." Ihre Aufforderung daher: "Mehr Sozialraumanalysen und Befragungen."

Anschließend betrat der Poinger Bürgermeister Albert Hingerl das Parkett - an diesem Abend vor allem in seiner Funktion als Aufsichtsratsvorsitzender der GWG Ebersberg. Das Ziel der Wohnungsgenossenschaft, so Hingerl, sei die Versorgung ihrer Mitglieder mit guten, sicheren und sozial gerechten Wohnungen. Dabei seien vor allem Investitionen der Kommunen in Form von Grundstücksübertragungen gefragt: "Der Schlüssel zu einer niedrigen Miete ist ein niedriger Grundstückspreis."

Kostengünstigen Wohnraum zu ermöglichen, steht auch für Helmut Sloim von der Arbeitsgemeinschaft (ARGE) "Am Bergfeld" an erster Stelle: "Gerade für ältere Menschen zählen Quartierscharakter und eine funktionierende Nahversorgung", gab Sloim zu bedenken. "Die Leute wollen im Alter gut angebunden sein. Da gibt es noch einiges zu tun."

Franziska Miroschnikoff von der Landesseniorenvertretung Bayern zeigte sich in dieser Hinsicht zuversichtlich: "Bei allen berechtigten Bedenken sehe ich auch viel Positives. Es ist doch toll, was da gerade alles passiert!" Von positiven Erfahrungen berichtete zum Abschluss auch Maria Sommer. Seit über einem Jahr lebt sie bereits in der "Hausgemeinschaft 60+" in Markt Schwaben und ist begeistert: "Ich ermutige alle, sich auf einen solchen Weg zu begeben. Allein das Projekt auf die Beine zu stellen hält fit!" Wie man das am besten in Angriff nimmt? "Zu erst einmal Verbündete suchen!", empfahl Sommer und blickte auf die Uhr: nach zwei Stunden Vortrag war schließlich der offene Teil des Abends erreicht. Zeit für Fragen und den Austausch von Erfahrungen also - und vielleicht ja auch für den nächsten Zusammenschluss zu einem neuen Wohnprojekt.

© SZ vom 13.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: