Graffiti-Künstler Daniel Man hat für die "Kurze Nacht der Kultur" einige lange Tage hinter sich gebracht: Im Laufe einer Woche hat er die etwa 20 Meter hohe Wand am P&R-Parkhaus besprüht, am letzten Tag habe er sogar ohne Nahrung oder Toilettenpausen durchgehalten, erzählte er der Menge nach der feierlichen Präsentation am Samstag. Mit diesem Kraftakt hat er Poing einen achtzackigen Stern geschenkt, der lange Tage hell scheinen wird. Das Graffiti ist aber kein Stempel, mit dem der renommierte Künstler Poing seine Handschrift aufdrückt. Als Gast, der von außen kommt, in London geboren und aus Augsburg angereist, hat er zuerst die Besonderheiten der Gemeinde wie ein Schwamm aufgesogen, bevor ihm die sprühenden Ideen kamen. Ausgangspunkt war der Stern im Poinger Wappen. "Ein Thema haben wir ihm nie vorgegeben. Ich war überrascht, wie sehr er sich für die Geschichte und Gebäude Poings interessiert hat", erzählte Kulturreferentin Birgitta Nagel, "ich führe ihn gerade durch die Gemeinde, als ich mich umdrehe und sehe: Der hört mir ja richtig zu!" Sogar die beiden Kirchen haben symbolisch Einzug gehalten in das vielfältige Formengemenge. Die erdigen Farbtöne in der Mitte entstammen dem Gemeindewappen und bewahren Tradition, erklärte Man, während die grelleren Akzente für Poings poppige Zukunft stünden, mit "Klebelaschen" an den Zacken, an die sich gedanklich noch viel anknüpfen ließe. Wenn die Sonne über das angrenzende Gebäude scheint und eine Schattenschräge diagonal über das Motiv legt, ist Mans Stern in zwei Hälften geteilt - wie Poing durch die S-Bahn-Gleise.
Ein Kunstwerk, nach ihrem eigenen Bilde geschaffen - das lockte die Poinger am Samstagabend so verlässlich an, als wäre es der Stern von Bethlehem. "Und das alles nur für heute?", raunte eine Dame entsetzt, aber Birgitta Nagel beruhigte sie: "Wir haben uns eine Wand ausgesucht, an der das Projekt nachhaltig ist. Das darf nicht übermalt werden. Wenn überhaupt, wird es mal geklaut, wie ein echter Banksy." Der Programmtitel "Kurze Nacht der Kultur", an dieser Stelle irreführend, bezog sich eher auf 16 andere Stationen, in Poing verstreut, an denen Street-, Urban- und Land-Art kurzlebigere Ausdrucksformen fanden. Diese konnte man nur bis 23 Uhr genießen. Manchmal stand wie bei Man das Resultat im Vordergrund, aber oft auch der Akt selbst: Während Man ein Graffiti vorab austüftelte, nahm Stefan Pillokat achselzuckend eine Kettensäge in die Hand und sägte seine Kunst frei Schnauze. Am Samstagabend arbeitete er sich mit irrer Vision in langen Linien an einem Akazienstamm entlang. Sein Kostüm hatte der als Clown Pippo bekannte Pillokat zu Hause gelassen, was wohl generell eine gute Vorkehrung ist, bevor man in der Öffentlichkeit eine Kettensäge in die Hand nimmt. "Beim Lärm des Sägens meditiere ich!", erklärte er, "das ist mir eine willkommene Abwechslung zu meinem Bühnenleben als Clown." Ganz abschalten konnte er den Showman aber nicht; immer wieder stellte er die Säge ab und riss hinter einem sicheren Gitterzaun Witze vor neugierigem Publikum. Einen Scheit Akazienholz durfte man sich als Souvenir auch mitnehmen.
Die illuminierte Pfarrkirche war Teil des Street-Art-Festivals.
Ein Graffiti-Workshop für Kinder gehört ebenfalls zum Programm.
Stefan Pillokat sägt eine Skulptur aus Akazienholz.
Wer die andere Hand noch frei hatte, wurde vom Helferkreis Asyl versorgt. In einer langen Produktionsstraße kleinschrittiger Arbeitsteilung kneteten, rollten und füllten die Geflüchteten vom Helferkreis türkische Gözleme mit Hackfleisch oder Kartoffeln und verteilten diese kostenlos an die Passanten. "Brot geben. Brot nehmen. Einfach so! Ohne Fragen! Nur ein Lächeln!", stand als Instruktion auf einer Papierwand geschrieben, auf derselben bedankten sich einige Poinger auch mit lieben Worten für den Snack. Konkurrenz machte den Gözleme der mexikanische Bohnensalat des Weltladens, der in der evangelischen Kirche mit einer Kokos-Margarita serviert wurde. Und wie es vielerorts gelang, war auch hier Platz für ein politisches Statement: Am Turm vor der Kirche entstand nach und nach ein großes Fairtrade-Symbol aus Serviettenblumen. "Nur die Avocado ist da ein bisschen kritisch zu bewerten", sagte Weltladen-Leiterin Anneliese Faltin und blickte zähneknirschend in ihren ansonsten gänzlich "fairen" Bohnensalat. Auch das Jugendzentrum hatte eine wichtige Botschaft an die Poinger und hängte Friedenstauben mit Länderflaggen in den Straßen auf. Bernhard und Leonhard Slawik sowie ihr Freund Florian Nöhbauer mahnten mithilfe von 50 selbst gebastelten Papp-Überwachungskameras zu mehr Freiheit im modernen Sicherheitsstaat.
Die neue Kirche Pater-Rupert-Mayer thronte über alledem, angestrahlt von regenbogenbunten Scheinwerfern, vor denen die Kinder Schattenspiele tanzten. Die so erzeugten Licht-Melangen sammelten sich in den Keramikplatten an der Fassade und spiegelten sich als zweite Kirche - ähnlich komplementär wie Daniel Mans Graffiti - wiederum in dem See, der sich vor der Kirche durch den Grünzug legt. In der Form dieses schimmernden Gewässers war nun zu guter Letzt auch die Natur vor Ort ganz von Kunst erschlossen. So etwas darf sich "Land Art" nennen, die auch zur Dreifaltigkeit des Abends gehörte, wie Bürgermeister Albert Hingerl sie ausgerufen hatte. Und welcher Bau wäre für diesen Streich geeigneter, als eben die Kirche, die Graffiti-Künstler Daniel Man auf seiner allerersten Suche nach Inspiration so für sich eingenommen hatte? "An der Kirche hat die Modernität Poings mich wirklich geflasht", sagte Daniel Man am Abend.