Kulturfest im Landkreis Ebersberg:Himmel trifft Hölle

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Die "Atelier-Diagonale" durch den südlichen Landkreis findet trotz Corona statt, beteiligt sind diesmal neun Künstler. Sie setzen sich mit existenziellen Fragen auseinander, teils auch unter ganz aktuellen Vorzeichen

Von Anja Blum

Im Corona-Sommer, als es eigentlich Zeit gewesen wäre für die "Atelier-Diagonale" im südlichen Landkreis, "da haben wir uns nicht getraut", sagt Maja Ott, Malerin und Initiatorin aus Moosach. Das Kunstwochenende wurde also auf Herbst verschoben - "und jetzt ziehen wir es durch". Obwohl die Situation freilich immer noch nicht viel einfacher geworden ist, die Regeln wider die Pandemie bestimmen den Alltag und auch jede Form von Veranstaltung. "Tausend Kleinkram" sei zu beachten, sagt Ott, "es ist ein riesen Aufwand". Denn Abstand zu halten, das erfordert akribische Planung: Die Zahl der Gäste in den Räumen muss begrenzt werden, es braucht Einbahnregelungen, es darf kein Buffet geben, Getränke nur aus Flaschen. Bei den Ämtern und der Gemeinde Moosach aber sei man auf offene Ohren gestoßen, sagt die Organisatorin. Immerhin. Also laden nun wieder neun Künstler aus dem Landkreis ein, sie zu besuchen und sich mit ihrer Arbeit auseinanderzusetzen.

Moosacher Wiesn

Nicht klein, sondern buchstäblich ganz groß haben Maximilian Erbacher und Andreas Mitterer gedacht, als sie überlegten, in welchem Bild sich die aktuelle Situation verdichten ließe. Herausgekommen ist ein gemeinsames Projekt, das ganz gegensätzliche Empfindungen - sowohl den momentanen Verlust, als auch die Hoffnung auf bessere Zeiten - symbolisch in sich vereint: eine Wiesn-Simulation unter dem Titel "Geschlossene Gesellschaft". Mitterer und Erbacher werden auf der Gemeindewiese beim Moosacher Maibaum ein Festzelt aufbauen, ein echtes, großes. Darin werden bunte Lichter leuchten, es wird Musik erklingen, Gläserklirren, Stimmengewirr, ein großes Prosit: In Zusammenarbeit mit dem Ebersberger Geräuschemacher Max Bauer und der Blechbagage haben die beiden Künstler eine vielschichtige Audiokulisse geschaffen, ein Hörspiel aus vertrauten Bausteinen zur Simulation und Stimulation.

Denn alle Volksfeste sind abgesagt, das Zelt darf sich nicht mit Menschen füllen - was bleibt, ist lediglich der Film, den unser Kopf abspielt, wenn Auge und Ohr beste bayerische Gaudi verheißen. "Machen, was geht", so lautet die Maxime der beiden Künstler, "und wir sind schon sehr gespannt, wie es wirken wird", sagt Mitterer. Ziel sei es, Wehmut und Sehnsucht spürbar zu machen, und zugleich ein positives Zeichen zu setzen. Die "Geschlossene Gesellschaft" soll laut Erbacher "eine humorvolle Antwort auf das landesweite Gejammere" sein.

Und gefeiert wird trotzdem, nur eben auf der Wiese neben dem Zelt: Am Freitag, 18. September, um 19 Uhr ist Anstich durch Bürgermeister Michael Eisenschmid. Alle Besucher müssen Abstand halten und sich registrieren, die Künstler hoffen, 250 Menschen auf dem Gelände unterbringen zu können. Der Platz übrigens ist nicht zufällig gewählt: Genau hier stand einst der Alte Pfarrhof, der in den Siebzigern lokalen und internationalen Künstler wie der Gruppe "Spur" eine Herberge bot und so den Ruf Moosachs als Künstlerort begründete.

Facetten der Atelier-Diagonale: Hausherrin Maja Ott malt hinter Glas, diesmal hat sie auch das Coronavirus dort gebannt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Atelier Ott/Maier

Heute hat die Kreativität in Moosach gleich zwei Zentren: das Meta-Theater und das Atelier von Maja Ott und Hubert Maier. Die Malerin und der Bildhauer haben eine ehemalige Schreinerei in ein Refugium aus mehreren Werkstätten und Ateliers verwandelt, in dem sie schon lange vielen Künstlern Heimat bieten, vor allem auch zur jährlichen Atelier-Diagonale. Maier selbst allerdings wird heuer nicht anwesend sein, er arbeitet noch in Schweden an einem ambitionierten Do-it-yourself-Haus. Zum Trost wird es aber ein Zeitraffervideo über dessen Aufbau zu sehen geben, zehn Tage in 20 Minuten. Außerdem hält ja seine Frau Maja Ott die Fahne hoch, sie hat diesmal Peter Kees und Birgit Jung eingeladen, gemeinsam mit ihr auszustellen.

Peter Kees präsentiert Gespräche, die er als arkadischer Botschafter in seinem Wagen geführt hat. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Maja Ott beglückt die Gäste, wie könnte es anders sein, wieder mit ihrer kunstvollen Hinter-Glas-Malerei. Sie ist von zeitloser Ästhetik - und doch gehen die aktuellen Geschehnisse nicht spurlos an ihr vorüber: Eine großformatige Arbeit namens "Mutation" zitiert die Form der Coronaviren, zu sehen sind die typischen runde Gebilde mit Strahlenkranz. Da Ott als Malerin ohnehin ein großes Faible hat für organische Strukturen, kann sie sich der Faszination dieser Viren kaum entziehen, nennt sie "schöne Killermaschinen", die sie durch die Kunst zu bannen hofft.

Auch Aktionskünstler Peter Kees setzt sich mit dem Zeitgeschehen auseinander: Gleich im ersten Raum steht sein stolzer arkadischer Diplomatenwagen, mit Standarte und Leuchtlaufschrift im Heckfenster. "Abstand halten" ist dort zu lesen. Aus dem Inneren des Fahrzeugs dringen Stimmen: Gespräche, die Kees jüngst in Görlitz geführt hat, mit Künstlern, Politikern, Kulturmachern. "Fragen der Zeit" werden darin erörtert, der Künstler will wissen, wie die Menschen die gegenwärtigen Veränderungen wahrnehmen, welche Probleme sie sehen, welche Lösungsansätze. Dass Kees diese Interviews bei einer Ausstellung direkt über jenen Wagen abspielen kann, in dem sie geführt wurden, ist eine Premiere, "darüber freue ich mich sehr", sagt er.

Völlig der Zeit entrückt erscheinen hingegen die erdig-sanften Werke von Birgit Jung: Sie zeigt lauter "Kreisarbeiten", kleine und größere Bilder, auf denen, nun ja, Kreise zu sehen sind, mal komplett, mal nur fragmentarisch. Das ist insofern bemerkenswert, als dass Jung bislang völlig abstrakt gearbeitet hat, dass sie dem Betrachter nun eine so klare Form bietet, ist neu. "Ich habe mich plötzlich gefragt, wo ist eigentlich mein Halt? Und habe mich intensiv mit dem Phänomen Kreis beschäftigt, habe immer versucht, beim Malen in meinen Mittelpunkt zu kommen", erklärt die Künstlerin. Ein Prozess, der mit einer riesen Freude einhergegangen sei - und sehr biografische Werke hervorgebracht habe. Was die Technik angeht, ist Jung sich übrigens treu geblieben: Nach wie vor arbeitet sie mit erdigen Materialien, etwa mit Aschen, Mineralien oder Steinmehl, wodurch ein dezentes, marmorierendes Farbspiel entsteht.

Malerin Birgit Jung hat sich neuerdings dem Kreis verschrieben. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Meta Theater

Nicht bildnerisch, aber ebenso kreativ wird es am Wochenende im Meta Theater von Axel Tangerding zugehen. Tagsüber kann man dort Karina Smiglia-Bobinski treffen, eine Münchner Künstlerin, die gerne interaktiv arbeitet. So hat sie etwa einen großen, heliumgefüllten Ballon geschaffen, aus dem rundum Filzstifte ragen. Er kann durch den Raum fliegen und hüpfen, so dass am Ende die Wände voller zufälliger Zeichnungen sind. In Moosach aber ist Smiglia-Bobinski nun mit ihrem Projekt "Paradise reloaded - Die peinliche Befragung" zu Gast, die aus Videos und Interviews besteht: Es geht um Statements zum Paradies. Und auch in Moosach ist das Publikum eingeladen, sich dazu zu äußern. Zum Abschluss der Diagonale am Sonntag, 20.

Axel Tangerding und Cornelia Melián laden im Meta Theater zu Performance und Konzert. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

September, um 19 Uhr gibt es im Meta Theater dann ein Konzert zu hören: "Lieder über Himmel und Hölle". Cornelia Melián und Rolf Kirschbaum singen und spielen frei nach Kompositionen der Heiligen Hildegard von Bingen (1098 bis 1179), die ihre mystischen Visionen in vielen Liedern verarbeitet hat. Laut Melián mit weit ausschweifenden Melodien und brillant-bildlicher Sprache. Die Musik Hildegards von Bingen sei zeitlos: "Auch im Gewand einer zeitgemäßen Adaption verliert sie nichts von ihrer Wirkung: Sie ist berührend, direkt, aktuell und zutiefst menschlich", so die Sängerin. "Ihr innerer Kern und ihre gedankliche Klarheit klingen immer durch." Gregorianischer Choral reibe sich hier an experimentellen Klangwelten, treibenden Rhythmen und schroffen Gitarrenriffs: ein musikalischer Spagat zwischen dem Mittelalter und dem 21. Jahrhundert.

Pullenhofen

Eine weitere Station der Diagonale liegt ein paar Kilometer außerhalb von Moosach, in dem kleinen Weiler Pullenhofen. Dort hat Gisela Heide ihr Atelier, die in ihrer Malerei gerade neues Terrain erobert.

Gisela Heideweiter experimentiert mit dem Thema Kleidung. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Ihr Thema sind schon lange Kleidung und Stoff, sie malt mit Vorliebe Blusen, Pullover und Co. Allerdings geht es Heide dabei nicht um Mode, sondern um den Vorgang des Sich-Ausdrückens, Fühlens und Erinnerns. Deswegen hatte sie bei der jüngsten Jahresausstellung des Kunstvereins die Besucher gebeten, ihr für das Projekt "Transformationen" besondere Kleidungsstücke zu überlassen sowie einen kleinen Fragebogen dazu auszufüllen - und die Resonanz war groß: Die Künstlerin nahm viel Stoff mit nach Hause (bei der Performance wurde nicht alles gebraucht) und obendrein etliche sehr persönliche Geschichten, Erinnerungen aus dem Kleiderschrank. Und diese webt sie nun in ihre Bilder ein, das heißt, sie malt Oberteile nicht mehr nur, sondern erschafft Collagen aus Stoff und Farbe.

Eher kleinformatige Holzbretter verwendet sie dafür, "die Textur der Leinwand wäre in diesem Fall zu viel", erklärt Heide. Manche der Bilder lassen die Form der Kleidung deutlich erkennen, wieder andere spielen nur mit deren Struktur, mit dem Gitter eines Tüllstoffs etwa, das unter der Ölfarbe durchscheint. "Aber ich lasse mich auf dem Weg zu einer stimmigen Gesamtkomposition immer vom Original inspirieren", sagt Heide, sei es ein gestreiftes Herrenhemd oder eine Spitzenbluse. Diese Art Kunst ist ein vorher kaum planbarer, intuitiver Prozess - stets getragen vom Bewusstsein für Identität und Erinnerung. Obwohl der Körper, der Mensch, auf diesen Bildern abwesend ist, entstehen so fast ins Dreidimensionale ragende Werke, die zu atmen, zu leben scheinen.

Hermannsdorf

Als "Preview" wiederum bezeichnet Johannes Gottwald seinen Beitrag zur Diagonale, denn der Bildhauer aus Hermannsdorf eröffnet demnächst eine Ausstellung in der Galerie der Glonner Klosterschule (Freitag, 25. September, um 19 Uhr). "Vom Lager-Leben" wird sie überschrieben sein, und dieses Motto umspannt auch die aktuell zu sehenden Werke, von der Jurte über diverse kuriose Stapelungen bis hin zu Objekten aus vernähten Holzresten. "Es ist die typische Situation eines Künstlers, beständig Werke auf Vorrat zu schaffen, auch Ideen und angefangene Arbeiten sammeln sich an", erklärt Gottwald. Daraus sei die Idee für die Ausstellung entstanden. Nicht nur das fertige Werk, sondern auch das Potenzial, das schlummert und reift, soll hier im Mittelpunkt stehen. Zudem hätten Lager eine ganz eigene Struktur und Ästhetik, sagt der Bildhauer. Aber auch der Begriff des Lagers mit seinen diversen Bedeutungen wird einbezogen, "vom Brennholz über Flüchtlinge bis hin zum Geld, vieles wird gelagert - in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft".

Bildhauer Johannes Gottwald widmet sich dem Lagerleben. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

"Atelier-Diagonale": Auftakt am Freitag, 18. September, um 19 Uhr beim Festzelt am Moosacher Maibaum. Die Türen stehen offen am Samstag, 19. September, von 15 bis 20 Uhr und am Sonntag, 20. September, von 11 bis 20 Uhr. Die Adressen lauten: Grafinger Straße 14 und Osteranger 8 in Moosach, Pullenhofen 12 in Bruck und Herrmannsdorf 12 in Glonn. Für das Konzert im Meta Theater wird um Reservierung gebeten.

© SZ vom 17.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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