Enrico Rava und Al Foster:Interkontinentaler Geschichtsunterricht

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Der italienische Flügelhornist Enrico Rava und der US-amerikanische Schlagzeuger Al Foster treffen im Alten Speicher aufeinander

Von Ralf Dombrowski, Ebersberg

Früher hätte man sich gestritten. Europa versus Amerika, zwei konkurrierende ästhetische Systeme und jedes mit dem Anspruch, dem anderen in bestimmten Facetten voraus zu sein. Doch diese Zeiten sind vorbei. Inzwischen ist es selbstverständlich, dass zwei Vertreter der jeweiligen Gestaltungswelten am gleichen Abend auf der selben Bühne stehen. Niemand stört sich mehr daran, weil die einst so virulenten Diskussionen im stilistischen Überangebot des Netzzeitalters ohnehin hinfällig geworden sind.

Die Ehrerbietung des Schlagzeugers Al Foster gilt mehr dem legendären Charlie Parker. (Foto: Christian Endt)

Dabei wäre es ganz interessant, Künstler wie Enrico Rava und Al Foster nicht nur nacheinander spielen zu lassen, sondern auch mit ein paar Erläuterungen zu versehen, damit klar wird, was es da eigentlich zu hören gibt. Ein klein wenig versuchte das auch der Gastconférencier Joe Viera, der die Freitagskonzerte des EBE-Jazz Festivals im Alten Speicher mit bewährt sprödem Humor ansagte. Allerdings ging es ihm weniger um die Musik an sich, als eher um einen Kommentar zum zunehmenden Kulturverfall im Ursprungsland des Jazz, der in der Forderung gipfelte, einen Artikel in die amerikanische Verfassung aufzunehmen, nach dem nur Präsident werden könne, wer einen Blues in zwölf Tonarten zu spielen in der Lage sei.

Flügelhornist Enrico Rava (links) und seine jungen Musiker huldigen dem Avantgardismus und einer Eruption der Töne. (Foto: Christian Endt)

Die Chancen hätten dabei für die Bandleader des Abends nicht schlecht gestanden, wobei die Variation des Themas sehr unterschiedlich geklungen hätten. Der 78-jährige italienische Flügelhornist Enrico Rava beispielsweise begleitete die europäische Jazzentwicklung durch viele Phasen der Selbstfindung. In den späten Sechzigern brachte er freie Experimente hinter sich, wendete sich dann avantgardesker Expressivität, aber auch klangethnischen und kammermusikalischen Ideen zu. Er schrieb Filmmusiken, adaptierte Opernarien für die Improvisation und formte aus dieser Mixtur europäischer Klassizität, frei fließender Formfindung und samtener akustischer Klanggestaltung am Instrument seinen Soundkosmos, den er nun seit zwei Jahrzehnten bevorzugt im eigenen Quintett ausformuliert. Gegenpol in der Band ist der eine Generation jüngere Posaunist Gianluca Petrella, der Ravas Toneruptionen überhöht und - als eine Art Kontrapunkt - Motive sowohl fortsetzt als auch ihnen widerspricht. Seitdem Stefano Bollani den Platz am Flügel an Giovanni Guidi abgegeben hat, wirkt dieser Dialog der starken Charaktere allerdings deutlich monomanischer, denn den Musikern ist die humorvolle Leichtigkeit der Selbstironie abhanden gekommen. Wo früher der Schalk Melodien und klangliche Gewissheiten in Frage stelle, kippt inzwischen die Musik zuweilen in überdrehte Avantgarde-Clownerien der Posaune oder wird von Klavierclustern und Toneruptionen zugedeckt. Da sich Fabrizio Sferras Schlagzeug darüber hinaus der Feinheiten verweigerte und auf der Suche nach der gemeinsamen Bandenergie vor allem bolzte, blieb von Ravas in ihrer Magie des Zusammenklangs ausgeklügelten Kompositionen nur ein leistungsbezogen angestrengter Eindruck übrig, den nicht einmal ein auflockernd gemeintes "Quizas, Quizas, Quizas" in der Zugabe auflösen konnte.

Teil zwei des Abends ging an Al Foster und sein Quintett. Der 74-jährige Schlagzeuger aus Virginia brachte eine andere stilistische Sozialisation mit, die nach Anfängen im Souljazz und in afrikanisch geprägten Projekten durch die Zusammenarbeit mit dem elektrischen Miles Davis vor allem Jazzrock, Postbop und Modern Jazz umfasste. "Mein Motto heißt 'Love, Peace and Jazz'," gab er dem Publikum zu verstehen, was sich musikalisch vor allem in Widmungskompositionen an seine Kinder und an Charlie Parker niederschlug. Fosters Welt klang altbekannt, die Stücke folgten dem Thema-Solo-Solo-Thema-Modus, ohne über ein paar ausgefeiltere Linien hinaus Perspektiven zu bieten. Die Musiker seiner jungen Band zeigten sich als ausgezeichnete Solisten, die wie der Trompeter Wayne Tucker und der Saxofonist Mike DiRubbo das Handwerk jazzender Eloquenz beherrschen, sie vermieden jedoch gestalterische Eigenwilligkeit. Es boppte solide, aber nicht so modern swingend wie möglich, und so wären den Diskutanten des transatlantischen Stilgegensatzes über den Abend hinweg die Argumente ausgegangen. Denn eine europäische Band, die in der eigenen Expressivitätsschleife verharrte, traf auf ein amerikanisches Pendant, das zum modernen Mainstream nichts substanziell hinzuzufügen hatte. Womöglich wäre es an der Zeit gewesen, die Gewohnheiten fester Formationen zu durchbrechen und die Künstler zu durchmischen. Gesetzt den Fall, Petrella forderte DiRubbo heraus, Tucker brächte Guidi in Form, Rava würde Foster zur Freiheit nötigen - er wäre ein Experiment, vielleicht mit famosem, vielleicht mit katastrophalem Ausgang. Aber dann wäre es Jazz, nicht Geschichtsunterricht.

© SZ vom 23.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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