Krammer-Nachfolge geregelt:Ein Dreier-Team für die Bewahrung der Heimat

Lesezeit: 5 min

Natascha Niemeyer-Wasserer, Thomas Warg und Sepp Huber sind die neuen Kreisheimatpfleger. In ihren Kompetenzen unterscheiden sie sich, doch nicht in ihrem Ziel: Sie wollen Identität stiften

Von Anja Blum

Kreisheimatpflegerin Natascha Niemeyer-Wasserer hat sich das Programm in der Klosterkirche ausgedacht. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Eine wichtige Triebfeder des Menschen ist das Staunen. Wer staunt, möchte mehr wissen, möchte verstehen, möchte den Augenblick der Erkenntnis am liebsten festhalten und mit anderen teilen. Nun haben drei staunende Menschen zusammengefunden, um gemeinsam das Ehrenamt der Kreisheimatpflege auszufüllen: Natascha Niemeyer-Wasserer, Thomas Warg und Sepp Huber. Trotz aller Unterschiede eint dieses Trio die Faszination an der Vergangenheit, alle drei sind begeistert davon, was es in der Geschichte des Landkreises alles zu entdecken gibt, und vor allem, wie viel sich gerade in jüngster Zeit verändert hat.

Umwälzungen größten Ausmaßes sehen sie in den vergangenen hundert Jahren, fast egal, bei welchem Thema. Zum Beispiel beim Stichwort Schulweg im Winter: "Als ich selbst noch Schüler war", sagt der 59-jährige Warg, "hat mir eine alte Dame erzählt, wie sie als Kinder immer alle in ein Loch gepieselt hätten, um danach darin die nackten Füße aufzuwärmen." Und Huber, 69 Jahre, berichtet, dass er als Schulbub zwar glücklicherweise bereits Schuhe besessen habe, sich damit aber teils durch meterhohen Schnee habe kämpfen müssen. "Der Größte ging immer voran, die Kleineren folgten seiner Spur." Und heute? Da fahre der Schulbus alle Dörfer ab.

Die Heimatpfleger wollen auch Geschichten von Zeitzeugen sammeln

Es ist eines der Anliegen des neuen Heimatpflege-Trios, auch vergleichsweise neue Entwicklungen wie diese, in denen sich die großen Zeitläufte spiegeln, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Deswegen richtet es ein besonderes Augenmerk auf Zeitzeugen, auf alte Menschen, die mit ihren ganz persönlichen Erinnerungen die Vergangenheit lebendig werden lassen können.

Mit Stift, Block und Aufnahmegerät wollen die neuen Heimatpfleger also Senioren besuchen, um ihre Geschichten zu konservieren. "Ich habe erst kürzlich mit einer Frau gesprochen, die Jahrgang 1921 ist", berichtet Huber stolz. "In solchen Fällen muss man schnell sein."

Vieles haben Huber, Warg und Niemeyer-Wasserer vor - und die Fußstapfen, in die sie treten, sind groß, das ist ihnen durchaus bewusst. Ihr Vorgänger, der 2017 verstorbene Kreisheimatpfleger Markus Krammer, "war ein Universalgenie", sagt Huber anerkennend, "der hat das alles ohne große Worte gemacht".

40 Jahre lang hatte Krammer das Amt mit viel Herzblut und profundem Wissen ausgefüllt, so dass es sich trotz offizieller Ausschreibung als unmöglich erwies, einen einzigen würdigen Nachfolger zu finden. Also ergriff das Landratsamt die Chance, das wichtige Ehrenamt mit drei Experten zu besetzen, die sich perfekt ergänzen. "Das ist mittlerweile so üblich", erklärt Niemeyer-Wassserer, es gebe kaum mehr Einzelkämpfer auf diesem Gebiet.

Bairisch kann nur einer von ihnen

Die Zornedingerin ist eine renommierte Kunsthistorikerin und wissenschaftliche Dozentin, Warg ist als Historiker und Journalist verantwortlich für die Stadtführungen in Ebersberg und Grafing und Sepp Huber aus Sensau war Landwirt, Lehrer und gilt als ein mit allen Wassern gewaschener Volksmusikant. "Wir sind leider beide durch den Bairisch-Test gefallen", sagt Warg, schaut seine Kollegin an und lacht. "Nicht nur deswegen war klar, dass wir noch Verstärkung in Sachen Brauchtum brauchen." Huber, sozusagen der Retter in der Not, quittiert das mit einem breiten Grinsen unter dem gezwirbelten Bart.

Schnell habe sich dann gezeigt, dass die Chemie stimme zwischen ihnen, erzählen die drei neuen Heimatpfleger, eine These, die sich im Gespräch bestätigt. Das Trio wirkt sehr harmonisch, jeder hat seine Spezialgebiete, weiß jedoch auch die anderen dafür zu begeistern.

Und in der grundsätzlichen Ausrichtung stimmen sie ohnehin überein: Es gehe darum, die Heimat und ihre Traditionen, ihre Geschichte und auch ihre äußere Anmutung zu bewahren, sagen sie, und dass man dadurch vor allem Identität in der Bevölkerung stiften wolle. Veränderungen dürften schon sein - "aber das Herz darf es nicht kosten", sagt Huber, und seine Kollegen nicken, als seien ihre Köpfe ziemlich schwer.

Im Landkreis Ebersberg wissen sie sich in diesem Bestreben jedoch nicht allein: "Wer sich hier alles einbringt, das ist unglaublich!", sagt Warg. Von den Heimatforschern über die Trachtenvereine und die Blaskapellen bis hin zu den Stadtführungen und Museen. "Und alle diese Angebote interessieren die Menschen sehr." Diesen Zuspruch wollen sich die drei Heimatpfleger freilich zunutze machen und "wirklich alle mitnehmen", von den Kindern bis zu den Senioren. "Es soll sich jeder wiederfinden", so lautet der Anspruch des Trios.

Endlich werden Neugierige einmal Schloss Elkofen besichtigen können

Das erste große Projekt, mit dem das gelingen soll, ist der Tag des offenen Denkmals am Sonntag, 9. September, auf den die drei Neuen bereits fieberhaft hinarbeiten. "So viel können wir schon verraten: Es werden sich Räume öffnen, in die sonst niemand hineindarf", sagt Niemeyer-Wasserer mit leuchtenden Augen. "Wir werden Teile des alten Ebersberger Klosters zeigen und auch Schloss Elkofen bei Grafing". Dazu soll es in beiden Städten Führungen zu speziellen Themen geben - und vielleicht sogar Livemusik. Das alles sei natürlich viel Aufwand, aber wenn es gelinge, die verschiedenen Akteure zusammenzubringen, könne daraus ein wunderbarer Tag werden.

Ein weiteres Feld, auf dem die Kreisheimatpfleger bereits aktiv sind, ist der Denkmalschutz. "Wir werden nämlich bei jeder Bauleitplanung um eine Stellungnahme gebeten", erklärt Niemeyer-Wasserer. Und da der Siedlungsdruck im Landkreis bekanntlich hoch sei, komme das ziemlich häufig vor. "Außerdem gibt es jeden Monat eine Rundfahrt des Landratsamtes, auf der man sich von gewissen Vorhaben vor Ort ein Bild macht."

Poing zum Beispiel sei hier immer ein heißes Pflaster, da archäologisch höchst brisant. "Da ist es dann unsere Aufgabe, den Gemeinderat auf mögliche Bodendenkmäler hinzuweisen", ihnen zu sagen: "Obacht, das ist eure Identität." Und auch, was die Ortsentwicklung angehe, um für den Erhalt des dörflichen Charakters zu werben, habe man als Kreisheimatpfleger eine gute Position, sagt Huber, der selbst 18 Jahre im Gemeinderat saß. Erhalten und gestalten, das sei hier das Prinzip.

Eine Verbindung zur Heimat herzustellen ist auch das Ziel einer Museumspädagogik, wie sie Niemeyer-Wasserer vorschwebt: Vorträge über ganz regionale Themen möchte sie halten, spielerische Kirchenführungen für die Kleinen anbieten oder eine "Klosterschreibschule", in der Kinder mittelalterliche Buchstaben mit Tinte und Feder aufs Papier bringen dürfen. "Es gibt da doch so viel zu erzählen", schwärmt auch Warg. Der Landkreis habe nämlich nicht nur eine wunderschöne Landschaft zu bieten, sondern dank des Klosters auch eine hervorragend erschlossene Geschichte, die immer wieder Forscher auf den Plan bringe. "Darauf können wir wirklich stolz sein."

Sepp Huber würde gern landwirtschaftliche Geräte sammeln

Ganz praktisch denkt da auch Huber, der von einem lange gehegten Traum erzählt: Sehr gerne würde er alte landwirtschaftliche Geräte sammeln und in einem denkmalgeschützten Stadl für die Nachwelt sichern, vom Truhenwagen bis zum Gabelwender. "Wer kann denn heute noch mit der Sense umgehen oder mit einem Dreschflegel? Oder wer weiß noch, wie Torf gestochen wird?" Und da kommt ihm schon die nächste Idee: Vielleicht könne man zusammen mit der Naturschutzbehörde mal einen Ausflug in die "Fuizn" unternehmen, um dort das traditionelle Torfstechen zu demonstrieren und obendrein zu dokumentieren? "Das wär' doch großartig", sagt Huber und strahlt.

Um für die Bevölkerung ansprechbar zu sein, sollen den neuen Kreisheimatpfleger E-Mail-Adressen am Landratsamt eingerichtet werden, "und vielleicht bekommen wir auch Räumlichkeiten im Sparkassengebäude", sagt Niemeyer-Wasserer. Mehr sei von den äußeren Bedingungen ihrer Arbeit noch nicht bekannt, auch nicht, ob das Ehrenamt mit einem gewissen Budget verbunden sein wird.

Doch bereits jetzt, vor Klärung organisatorischer Fragen, erreichen das neue Team so viele Einladungen, "dass es viel zu viel wäre für Einen allein". Auch insofern - jenseits ihres Expertentums - sind die drei Heimatpfleger also froh, das Amt nun auf mehreren Schultern verteilt zu wissen. Außerdem ist es doch immer schöner, gemeinsam zu staunen als ganz allein.

© SZ vom 14.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: