Kommentar:Zwischen Recht und Gerechtigkeit

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Warum wird ein Asylbewerber nach Italien abgeschoben, wenn gleichzeitig von dort Flüchtlinge aufgenommen werden sollen?

Von Christian Endt

Wenn von Flüchtlingen die Rede ist, geht es meistens um große Zahlen: Ankunftszahlen, Verfahrensdauern, Verteilungsschlüssel, Aufnahmequoten. Auch als Reporter tut es da gut, sich hin und wieder den einzelnen Menschen zuzuwenden, die mit ihren Schicksalen hinter den Zahlen stehen. Plötzlich steht man vor einem jungen Menschen, der im gleichen Jahr geboren wurde wie man selbst. Doch während der Reporter auf die Uni gegangen ist, musste der Flüchtling vor dem Bürgerkrieg aus seinem Heimatland fliehen. Während man selbst seine erste Stelle bei der Zeitung antritt, freut sich der Flüchtling, dass er ab und zu einen Stall ausmisten darf. Plötzlich steht man diesem jungen Mann gegenüber, der endlich angekommen ist. Der freudestrahlend zwischen den Pferden steht und seine Arbeit macht. In diesem Moment und auch in den Stunden danach fällt es schwer zu akzeptieren, dass dieser Mann abgeschoben werden soll. Weg von seinen Tieren, zurück ins Ungewisse.

Die Beamten, die in den Behörden über die Schicksale junger Menschen entscheiden, dürfen sich von solchen Emotionen nicht leiten lassen. Ihre Aufgabe ist es, Gesetze zu vollziehen. Aber auch nüchtern betrachtet muss man nicht verstehen, warum die ohnehin überlasteten Behörden einen Flüchtlinge zurück nach Italien schieben und zugleich vereinbart wird, andere von dort hier her zu holen. Das ist wie Karussell fahren: Es kostet eine Menge Energie und danach steht man wieder an der gleichen Stelle. Nur wird unterwegs vielen schwindlig.

Schwindel vergeht meistens ziemlich schnell wieder. Einen Menschen in ein Land zu schicken, wo ihm statt eines fairen Asylverfahrens Obdachlosigkeit droht, sollte man sich genau überlegen. Zumindest sollten der Betroffene und die Menschen, die sich in ihrer Freizeit um seine Integration kümmern, rechtzeitig über die Abschiebung informiert werden. Sonst bleibt ein Gefühl von Willkür und Ohnmacht zurück. Dass der Bescheid an der falschen Adresse ankam, ist ein bedauerlicher Fehler. Wer genau daran schuld ist, lässt sich wohl nicht mehr klären. Es ist auch nicht wichtig. Noch lässt sich der Fehler korrigieren. Ihn allein dem Asylbewerber anzulasten, mag rechtmäßig sein. Gerecht ist es nicht.

© SZ vom 25.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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