Kommentar:Zu viel Betroffenheit

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Grafings Stadtrat lehnt einen Bürgerhaushalt ab - und das ist gut so.

Von Thorsten Rienth

Der Vorschlag eines Bürgerhaushalts, mit dem das "Bündnis für Grafing" (BfG) in die jüngste Stadtratssitzung gegangen ist, wäre einem Paradigmenwechsel gleichgekommen. Wie auch immer am Ende gestaltet: Er hätte das Budgetrecht des Stadtrats aufgeweicht und in Richtung der Bürgerschaft verschoben. Es ist gut, dass es dazu nicht kommen wird.

Das Budgetrecht des Stadtrats ist weniger Recht denn Pflicht. Es bedeutet, die Entwicklung der Kommune aus einer übergeordneten Perspektive zu betrachten, die Belange der verschiedenen Stadtteile und Gesellschaftsschichten mit möglichst objektiven Maßstäben abzuwägen - und dann fundierte Entscheidungen zu treffen. Es ist ein Spagat zwischen einer utilitaristischen Suche nach möglichst viel Nutzen für möglichst viele Leute, etwa bei der städtischen Infrastruktur. Und einer möglichst fairen Verteilung beschränkter Güter - zum Beispiel Kinderbetreuungsplätze - oder hinzunehmender Übel wie Schlaglöcher.

Direkte Bürgerbeteiligung ist genau das Gegenteil von alldem. Wer wissen will, warum, muss sich nur in die jährliche Bürgerversammlung setzen oder zuhören, was in der Bürgerfragestunde vor den Stadtratssitzungen so alles angesprochen wird. In aller Regel nämlich gründen die Wortmeldungen auf persönlichen Betroffenheiten. Hier sei der Schallschutz zu kurz. Dort ein Fahrradständer nicht überdacht. Beim Nächsten hat jemand den Schnee zu weit in die Einfahrt geschoben.

Es ist gut, dass es für den Normalbürger Möglichkeiten gibt, auf vermeintliche Missstände aufmerksam zu machen. Nicht richtig wäre es, würde er ganz konkret über die Verwendung von öffentlichen Geldern mitentscheiden. Denn eine solche Entscheidung würde dann stets auch von persönlichen Motiven beeinflusst. Genau diese Subjektivität gilt es bei den Budgetberatungen im Stadtrat so klein wie möglich zu halten.

Obwohl der Bürgerhaushalt im Stadtrat durchfiel, brauchen sich die BfG-Initiatoren nicht als Verlierer fühlen: Ohne ihren Antrag würde die Verwaltung jetzt wohl kaum die Online-Kommentarfunktion beim städtischen Haushalt vorantreiben. Ein charmanter Schritt, der gute Chancen hat, ein praktikabler Kompromiss zwischen mehr Bürgerbeteiligung und der Budgethoheit des Stadtrats zu werden.

© SZ vom 14.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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