Kommentar:Zu schön, um wahr zu sein

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Die zweite Stammstrecke sollte für Pendler Verbesserungen bringen. Doch schon jetzt zeigt sich: Das Projekt hält nicht annähernd, was man sich davon versprochen hat

Von Wieland Bögel

Autofahrer in und nach München brauchen - neben einem Auto natürlich - vor allem eines: Geduld. Laut einer aktuellen Erhebung stehen sie hier jährlich etwa 51 Stunden im Stau, mehr als in jeder anderen deutschen Stadt. Was nicht nur auf die Laune der Autofahrer, sondern auch auf die Gesundheit aller sich in der Stadt befindlichen Personen negative Auswirkungen hat: Die Luft ist so schlecht wie kaum irgendwo sonst in Deutschland. Aber es ist ja Abhilfe in Sicht, wenn erst einmal die neue S-Bahn-Röhre fertig ist, wird alles besser. Dann wird der Nahverkehr endlich so leistungsfähig und benutzerfreundlich, dass niemand mehr ein Auto braucht, um nach München zu kommen. Zu schön, um wahr zu sein? Ganz genau!

Die angeblichen Verbesserungen klingen zunächst gar nicht schlecht. Eine S-Bahn alle 15 Minuten statt alle 20? Ist doch eine Verbesserung. Allerdings eine von der Art, wie sie das Informationsministerium aus Orwells "1984" nicht besser hinbekommen würde. Da werden den Bürgern stets die neuesten Kürzungen als Erhöhung ihrer Rationen verkauft, und dieses Spiel versucht das Verkehrsministerium gerade offenbar auch mit den Bahn-Pendlern im Landkreis. Wo es im Berufsverkehr auf der Linie S 4/S 6 heute schon im Zehn-Minuten-Takt drangvoll eng in den Zügen ist, gibt es von 2026 oder 2027 an einfach zwei S-Bahnen pro Stunde weniger. Dafür in den Randzeiten einen Zug pro Stunde mehr - der dann hauptsächlich Luft durch die Gegend fahren wird. Auch die Express-S-Bahn ist ein eher schwacher Ersatz: An den Stationen mit dem höchsten Passagieraufkommen - in Baldham und Vaterstetten - halten sie gar nicht. Und auch für alle anderen wäre der Zehn-Minuten-Takt wohl sinnvoller. Denn dass ein schneller Zug, der nicht ans gewünschte Ziel fährt, viel Zeitersparnis bringt, mag man bezweifeln. An der Linie S 2 wird dagegen die bestehende Express-S-Bahn wohl ganz gestrichen. Zwar wird auch hier die Taktfrequenz auf 15 Minuten verkürzt - kurz bleiben aber auch die Züge. Denn für Langzüge sind einige Bahnhöfe auf der Strecke nicht lang genug.

Alles in allem entpuppt sich die zweite Stammstrecke als ein Vorhaben, das sich bereits überlebt hat, bevor es überhaupt beginnt. Denn ganz offenbar hält das Projekt nicht annähernd, was man sich davon versprochen hat - zumindest nicht für die Pendler auf den Außenästen. Für diese wird die Bahnfahrt nach und aus München umständlicher und langwieriger. Weshalb sich niemand wundern muss, wenn die Dauer der Staus in und um München von 2027 an noch ein bisschen länger und die Luft rundherum noch ein bisschen schlechter wird.

© SZ vom 12.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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