Kommentar:Wenn Tränen auf Tinte fallen

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Schule und Corona: Dass die Rektoren eine eher positive Bilanz ziehen, muss Eltern wie ein Hohn erscheinen

Von Anja Blum

Freilich, in jeder Krise liegt eine Chance, das ist derzeit landauf, landab zu hören. Dass aber die Schulleiter die Digitalisierung ihrer Institutionen als einen der Pandemie geschuldeten Fortschritt bezeichnen und demzufolge eine eher positive Bilanz ziehen - das mag so manchem, der die Zeit aus Elternperspektive erlebt hat, wie der blanke Hohn erscheinen.

Technisch aufzurüsten, ein Digitalisierungskonzept zu entwickeln und umzusetzen, das nämlich wäre eigentlich schon lange Aufgabe der Schulen gewesen. Aber es musste ja erst Corona kommen, damit mancherorts Dienstmailadressen für die Lehrerinnen und Lehrer eingerichtet wurden. Klar, die gute alte Zettelwirtschaft hat es ja auch lange getan... Und Lernen per Streaming? Videokonferenzen? Davon konnte im Homeschooling-Alltag vieler Kinder nicht die Rede sein. Denn nicht nur Schüler waren "abgetaucht", sondern auch so mancher Lehrer. Sei es aus Unvermögen oder Unwillen - was für die betroffenen Familien freilich keinen Unterschied macht.

Womit die Rektoren recht haben: Die Schülerinnen und Schüler haben sich tatsächlich noch nie so über einen Unterrichtsstart gefreut wie in diesen Wochen. Doch ist das ein Verdienst der Schulen? Wohl eher nicht. Diese Freude zeigt vielmehr, wie schwierig die Zeit zu Hause war. Und wie wenig ein Fernunterricht bestehend aus Arbeitsblättern und Youtube-Links die unvermeidlichen Defizite ausgleichen kann. Ja, manches Kind hat Eltern, die genügend Zeit, Kompetenzen und Geld haben, um eine Schulschließung abzufedern. Aber selbst in diesen Familien fehlt dann das soziale Gefüge zwischen den Gleichaltrigen und der Lehrerschaft, sodass oftmals Tränen die Tinte verwischen. Völlig unbeschadet wird wohl kein Kind diese Zeit überstehen. Ganz zu schweigen von jenen, die unter ungünstigeren Bedingungen aufwachsen. Denen es fehlt an Hard- und Software, an Unterstützung und Zuwendung. In diesen Fällen hilft das nun bewilligte Geld auch nur bedingt.

Was tatsächlich die Folgen der Schulschließung sind, das wird sich erst langfristig zeigen. Und verpasster Stoff ist da vermutlich noch das kleinste Problem. Sollte es noch einmal zum Lockdown kommen, sei man nun besser vorbereitet, heißt es von den Schulleitern. Das ist sicherlich richtig, denn beim ersten Mal hat die Pandemie die Bildungseinrichtungen ja komplett kalt erwischt. Ob sie aber im Fall der Fälle gut genug gerüstet sein werden - das darf wohl durchaus bezweifelt werden.

© SZ vom 04.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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