Kommentar:Wahrer Reichtum

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Ohne die Tafeln wäre das Leben im Landkreis ärmer, in vielerlei Hinsicht

Von Wieland Bögel

Der Landkreis Ebersberg ist reich. Das lässt sich nicht nur in den einschlägigen Fachpublikationen der gehobenen Mittelschicht nachlesen, auch wer einfach durch eine der 21 Landkreisgemeinden schlendert, kann den Eindruck gewinnen. Große, meist gepflegte Häuser, davor große, meist gut polierte und glänzende Autos. Ja, den Leuten geht es gut - jedenfalls vielen von ihnen. Doch nicht allen stellt sich die Frage, ob man lieber mit dem Benz oder dem Jaguar zum Golfen fährt, manchen stellt sich auch die Frage: "Gibt es heute genug zu Essen?" Zehn Ausgabestellen der Tafeln gibt es im Landkreis, mehr als im regionalen Vergleich. Mehr werden auch jene, welche die Tafeln in Anspruch nehmen müssen, und das ist, auch und besonders in einem so reichen Landkreis, dann doch ziemlich arm.

Beides, der offensichtliche Reichtum und die oft versteckte Armut haben die selbe Ursache: Das Leben im Landkreis wird immer teurer. Besonders bei den Wohnkosten können viele nicht mehr mithalten und müssen - ganz wörtlich- den Gürtel enger schnallen. In den kommenden Jahren dürfte sich die Situation kaum entspannen, im Gegenteil: demografischer Wandel und Zuzug werden die Situation am Wohnungsmarkt eher noch verschärfen. Zu erwarten ist daher, dass sich die Zahl der Tafel-Kunden weiter erhöhen wird. Einen Vorgeschmack gibt es aus der Gemeinde mit den derzeit höchsten Wohnpreisen: In Vaterstetten gibt es aktuell gut doppelt so viele Tafel-Kunden, wie noch vor drei Jahren. Diese Entwicklung wird sich wohl bald auch in den Kommunen weiter östlich beobachten lassen, die Immobilienpreise ziehen dort seit Jahren immer weiter an, immer mehr Leute werden sich dort auch bald die Frage stellen: "Wohnen oder Essen?"

Natürlich kann man nun einwenden, hierzulande verhungere keiner, und wer sich Vaterstetten, Grafing oder Poing nicht mehr leisten kann, soll halt woanders hinziehen. Schon richtig, allerdings hat die Verdrängung extrem schädliche Auswirkungen auf die Sozialstruktur einer Region: Die vielzitierte "Luxus-Verödung", also ein Gemeinwesen, das keines mehr ist, weil diejenigen, die man zu seinem Funktionieren bräuchte, keinen Platz mehr darin haben. Darum ist die Arbeit von Organisationen wie der Tafel mehrfach wichtig. Nicht nur versorgen sie Bedürftige mit Dingen des täglichen Bedarfs, sie tragen auch dazu bei, dass sich der Landkreis eine gewisse gesellschaftliche Mischung erhält, und nicht zuletzt vermitteln sie den Menschen, dass sie nicht vergessen wurden, dass es noch Leute gibt, die sich um sie kümmern. Solange es noch solche Leute gibt, ist es richtig zu sagen: Der Landkreis ist reich.

© SZ vom 02.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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