Kommentar:Von den Alten gelernt

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Solange große Geschwister, Eltern und Großeltern aktiver Teil bayerischer Volksfesttrinkkultur sind, sieht ein 16-Jähriger wenig Grund für asketische Wochenenden

Von Thorsten Rienth

Von wegen Mief und Muff. Weiß-blaue Festzelte sind kein verrauchter Altherrentreffpunkt mehr, stattdessen ist die Tracht ein Utensil des hippen Zeitgeists. Der Ansicht, dass zum zünftigen Beisammensein in Dirndl und Lederhose halt auch ein sauberer Rausch gehört, konnte die Transformation nichts anhaben. Wie auch? Gerade Bayern zelebriert die Kausalität von Geselligkeit und Zecherei seit Generationen.

Weil Räusche im Bierzelt aber teuer sind und Jugendliche notorisch knapp bei Kasse, besorgen sie sich im Supermarkt billigen Alkohol. Mit dem stoßen sie im Grafinger Stadtpark oder hinter der Stadthalle an. Dann stolpern sie hinüber ins Festzelt, das ja nicht umsonst Bierzelt heißt. Man kann so etwas schlimm finden - oder es auch andersrum sehen. Denn unterm Strich fühlen die Jugendlichen nur dem Erwachsenenleben vor und fügen sich brav in die Kulturschreibung ein, wonach Alkohol zum Leben dazugehört. Jede Discoparty für Leute über 18 hat das Ziel, sich möglichst schnell mit vielen Drinks abzufüllen. Jeder Kollegenausflug ins Bierzelt bleibt im Kern ein vorsätzliches Kollektivbesäufnis. Und das Grafinger Volksfest ist, wie Weinfeste, Faschingsumzüge oder Glühweinstände auch, am Ende eine offene Drogenszene. Historisch bedingt eine legale. Solange große Geschwister, Eltern und Großeltern aktiver Teil davon sind, sieht ein 16-Jähriger wenig Grund für asketische Wochenenden. Dennoch gibt es Anzeichen, dass die heutigen Kids vernünftiger sind als die Erwachsenengeneration samt derer weiß-blauer Kulturdeutungshoheitler. Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) geht der Alkoholkonsum Jugendlicher seit Jahren kontinuierlich zurück. Sie trinken weniger und fangen auch später damit an. Ob Verbote den Trend beschleunigen, ist fraglich. Ob eine Jugend mit weniger Bier spaßiger ist, allerdings auch.

© SZ vom 16.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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