Kommentar:Visionen? Nein danke!

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Wenn CSU und SPD heute den Bürgermeister kritisieren, vergessen sie eines: Sie selbst sind daran schuld, dass sich Vaterstetten keine hochfliegenden Pläne mehr leisten kann

Von Wieland Bögel

Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen, spottete einst Helmut Schmidt. Wer keine Visionen hat, sollte nicht Bürgermeister werden, kritisierten nun CSU und SPD im Vaterstettener Gemeinderat. Sie warfen Georg Reitsberger vor, zu wenig kreativ zu sein, nur zu verwalten, wo er doch gestalten müsste. Dass aber die Gestaltungsspielräume so gering sind, wie sie eben sind, daran tragen die Christsozialen wie die Sozialdemokraten in der Großgemeinde maßgeblichen Anteil.

Tatsächlich haben sie es in den vergangenen Jahrzehnten vorgemacht, die Roten und die Schwarzen. Egal wer von ihnen den Bürgermeister stellen durfte, an Visionen herrschte kein Mangel. Und was waren da für kühne Pläne dabei: Ein Kino sollte her und ein neues VHS-Gebäude mit Tiefgarage und Fußgängerbrücke zum Baldhamer Marktplatz. Natürlich durfte auch der Bürgersaal nicht fehlen, genau wie ein neues Rathaus und eine komplette Umgestaltung der Vaterstettener Ortsmitte inklusive Einkaufszentrum und Spritzbrunnen. Unklar blieb dabei lediglich, ob der dann mit dem warmen Wasser aus dem ebenfalls visionären Geothermieprojekt hätte gespeist werden sollen. Schöne Visionen, zweifellos, doch ein kleines Detail scheint den Kritikern im Gemeinderat wohl entfallen zu sein: Alle diese schönen Vorhaben sind gescheitert, oft haben sie davor noch viel Geld gekostet, immer haben sie davor viel Zeit und Arbeit gekostet.

Selbst das einzige Großprojekt, das sich in den vergangenen Jahren verwirklichen ließ, das neue Gewerbegebiet in Parsdorf, bleibt weit hinter den Visionen zurück: Statt einer sprudelnden Gewerbesteuerquelle, welche die Gemeinde für die Zukunft aller finanzieller Sorgen ledig stellen sollte, ist eher ein Monument seiner eigenen Nutzlosigkeit entstanden, das in den kommenden Jahren hohe Folgekosten verursachen wird. Denn auch wenn es keine nennenswerten Steuermehreinnahmen gebracht hat, das neue Gewerbegebiet, der Verkehr ist schon mehr geworden, weshalb man nun eine viele Millionen teure Umgehungsstraße braucht.

Und noch eine Folge hatte das dauernde Visionieren: Während die Verwaltung mit der Planung immer neuen Fantastereien auf Trab gehalten wurde, war die Realität so frech, einfach keine Pause einzulegen. Während man die glänzende Zukunft schon zu Greifen wähnte, verfielen Schulen, Bücherei, Rathaus, Gemeindewohnungen. Auch die gute Kinderbetreuung, für die sich Vaterstetten so gerne rühmt, hätte weniger gekostet, wenn man diese langfristig und vorausschauend ausgebaut hätte. Stattdessen wurde man vor lauter Visionen von der Realität überrascht, innerhalb weniger Jahre musste ein Kinderhaus nach dem anderen aus dem Boden gestampft werden. Ähnlich verhält es sich mit dem Bau der neuen Grundschule, die den Haushalt der kommenden vier Jahre de facto festnagelt, auch hier wäre ein frühzeitiges Umschalten vom Visions- auf den Realitätsmodus hilfreich gewesen.

Das visionslose Durchwursteln der Gegenwart, das SPD und CSU nun beklagen, ist die Folge der Visionen der Vergangenheit. Wer in Vaterstetten nach Visionen sucht, muss vielleicht nicht zum Arzt, aber ein paar Stunden Gedächtnistraining wären nicht schlecht.

© SZ vom 05.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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