Kommentar:Treten Sie näher, greifen Sie zu

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Werbung ist nicht grundsätzlich verwerflich - zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Die Bürgerversammlung Vaterstetten gehört nicht dazu

Von Wieland Bögel

Darüber, wo genau die Grenze zwischen Information und Reklame verläuft, lässt sich trefflich streiten - was auch allenthalben getan wird, Stichwort Schleichwerbung. Dieses Wort impliziert, dass die Werbung irgendwie getarnt und versteckt daherkommt, sich also gewissermaßen anschleicht. Manchmal indes verkleidet sich die Reklame so schlecht als Information, dass von "Schleichen" keine Rede mehr sein kann. Eigentlich müsste man ein neues Wort erfinden, vielleicht "Stampf-Werbung" oder "Trampel-Reklame" - und eine solche war nun in der Vaterstettener Bürgerversammlung zu beobachten.

Offiziell ging es um Informationen zum Glasfaserausbau, doch was den gut 200 Besuchern geboten wurde, war eine mehr schlecht als recht getarnte Verkaufsveranstaltung. An konkreten Fakten hatten die Glasfaserbauer eher wenig anzubieten: ein vager Zeitplan, keine Informationen, wo es mit dem Netzausbau losgeht, und kein Verständnis für Bürger, die sich sorgten, die nächsten zwei Jahre in einer Kraterlandschaft der aufgerissenen Straßen und Bürgersteige zurecht kommen zu müssen. Richtig konkret wurde die Präsentation nur, als es ums Geschäft ging: Denn beim Punkt, welche tollen Tarife und Verbindungsgeschwindigkeiten man anzubieten habe, da konnte es gar nicht zu viele Details geben - klare Themaverfehlung für eine Bürgerversammlung. Dort sollte es um Informationen über die Gemeinde, aber nicht über die in der Gemeinde erhältlichen Produkte gehen. Zum Vergleich stelle man sich einfach vor, der örtliche Bäcker hielte in der Bürgerversammlung einen Vortrag über kommende Angebote an der Semmeltheke, der Schuhladen stellt seine neueste Kollektion vor, nur unterbrochen durch das Rufen der Imbissverkäufer: "Kommen Sie näher, greifen Sie zu."

Daran ändert im Übrigen auch die Tatsache nichts, dass sich die Gemeinde zu einem Viertel an der Glasfaser-Ausbaugesellschaft beteiligen will. Denn trotzdem bleibt der Breitband-Anschluss ein kommerzielles Angebot, das selbstverständlich beworben werden kann und auch soll - aber eben nicht auf einer Bürgerversammlung. Wo interessanterweise auch zu beobachten war, wie man ein kommunales Angebot vorstellt, ohne dass die Besucher das Gefühl hatten, im Teleshopping-Kanal gelandet zu sein: Das Umweltamt präsentierte den laufenden und kommenden Nahwärmeausbau, wo und wann was gebaut wird - und ganz ohne Antragsformulare für Neukunden zu verteilen.

© SZ vom 10.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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