Kommentar:Strategische Reserve

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In Zeiten unsicherer Finanzen müssen Großprojekte eben hintanstehen, daran dürfte es keine Zweifel geben. Allerdings ist genauso unzweifelhaft: Auch ohne Corona wären Berufsschule und Gymnasium auf der Warteliste gelandet

Von Wieland Bögel

Corona macht einen Strich durch so manche Rechnung, vieles fällt der Pandemie oder den Maßnahmen dagegen zum Opfer. Nun, so scheint es, hat es auch zwei der ambitioniertesten Vorhaben des Landkreises erwischt. Sowohl die seit Jahren geplante Berufsschule in Grafing-Bahnhof als auch das nicht minder lang vorbereitete neue Gymnasium in Poing wandern auf die Warteliste. In Zeiten unsicherer Finanzen müssen Großprojekte eben hintanstehen, daran dürfte es keine Zweifel geben. Allerdings ist genauso unzweifelhaft: Auch ohne Corona wären die beiden Vorhaben auf der Warteliste gelandet.

Eines davon, das Poinger Gymnasium, steht de facto ohnehin seit gut einem Jahr auf Halt. Nämlich seit die Plieninger gegen Poings Pläne zur Siedlungsentwicklung klagen. Zwar richtet sich dies nicht gegen das Gymnasium, das auch für so manche jungen Plieninger kürzere Schulwege bedeuten würde, sondern gegen das Wohngebiet darum herum. Aber da beide im Umgriff desselben Bebauungsplanes liegen, trifft es eben auch die neue Schule. Dass diese vielleicht nicht im Herbst 2023 in Betrieb gehen kann, war bereits bei der Aufstellung des Haushaltes 2020 vor gut einem Jahr zu vernehmen. Damals hatten einige Mitglieder des Kreistages ob der enormen Kosten zweier parallel laufender Schulbauprojekte Bedenken geäußert. Der Nachbarschaftsstreit der Gemeinden im Norden bot damals die Aussicht, auf eine gewisse Entzerrung der beiden Vorhaben. Die beide damals übrigens noch mit deutlich geringeren Kosten veranschlagt waren: 50 Millionen Euro für die Berufsschule, 60 für das Gymnasium. Inzwischen geht man in der Kämmerei von etwa 107 Millionen für das Projekt in Grafing-Bahnhof und rund 90 für das in Poing aus - beides inklusive 30 Prozent Risikoreserve. Das wäre selbst in normalen Zeiten eine Größenordnung, die eine Neujustierung der Pläne erforderlich machen würde: Eine der Schulen wäre definitiv für ein paar Jahre auf der Warteliste gelandet.

Umgekehrt bietet diese Preissteigerung - zumindest buchhalterisch - in der aktuellen Situation einen gewissen Vorteil: Die fast 200 Millionen Euro für die zwei noch nicht begonnenen Schulbauten fungieren nun gewissermaßen als strategische Haushaltsreserve. Auf einen Schlag sind die Ausgaben des Kreises um ein großes Stück niedriger, ohne dass dazu ein laufendes Vorhaben abgespeckt oder gar unterbrochen werden muss. Auch die Kritik gegen die Verschiebung zweier Lieblingsprojekte dürfte sich angesichts der Umstände in Grenzen halten - zumindest zunächst. Doch spätestens im kommenden Jahr wird die große Frage beantwortet werden müssen: Berufsschule oder fünftes Gymnasium? Denn eines ist jetzt schon sicher: Beides auf einmal wird auch ohne Corona nicht gehen.

© SZ vom 11.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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