Kommentar:Stopp den Nashörnern

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Irrationale Ängste spielen rechten Hetzern in die Hände. Dagegen gilt es immer wieder anzureden

Von Wieland Bögel

Vor mehr als einem halben Jahrhundert feierte ein Stück des Dramatikers Eugène Ionesco Premiere, das seitdem als Klassiker des absurden Theaters gilt: In Rhinocéros wird eine Welt gezeigt, dessen Bewohner sich nach und nach in Nashörner verwandeln. Einige bleiben zunächst verschont, sie blicken ratlos und ungläubig auf die zunehmende Zahl der Dickhäuter, bis auch sie schließlich deren Schicksal teilen. Ein wenig erinnert die aktuelle Entwicklung der Stimmung in Bezug auf die Flüchtlinge an Ionescos Stück: Zwar sieht man keine Nashörner durch die Straßen marodieren, dafür sind immer öfter Sätze zu hören wie: "Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber . . .", auch von Menschen, die man eigentlich fern jeden Verdachts der Fremdenfeindlichkeit wähnte.

In vielen Fällen ist die Ursache solcher oder ähnlicher Sätze nicht dumpfe Fremdenfeindlichkeit, sondern Verunsicherung. Dass sich diese auf keinerlei rationale Basis stützen kann, spielt keine Rolle, Stimmungen sind immer irrational. Es ist egal, dass im Landkreis nichts passiert ist. Die Ängste werden gespeist von Vorfällen wie den Übergriffen in Köln, den inzwischen bald täglich von irgendwo vermeldeten Terrorwarnungen, Bildern von scheinbar endlosen Trecks von Flüchtlingen. All das schafft ein Klima der Unsicherheit, der Angst, der Sorge - auch wenn man selber nicht betroffen ist. Angeheizt wird diese Stimmung von jenen, die tatsächlich schon immer etwas gegen Ausländer hatten und nun Morgenluft wittern.

Denen gilt es den Boden zu entziehen. Wer verhindern will, dass Angst und Sorge in Hass und Gewalt umschlagen, muss informieren und aufklären. Dazu gehört natürlich auch, nichts zu verschweigen, nichts zu beschönigen. Flüchtlinge sind weder bessere noch schlechtere Menschen, als die Einheimischen. Kriminalität gibt es bei den einen wie den anderen, bisher ist die Polizei damit fertig geworden und es gibt keine Anzeichen, dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändert. Wer die Polizeistatistik liest, statt blind Gerüchten zu glauben, sieht, dass die öffentliche Ordnung nicht gefährdet ist: Die Zahl der Straftaten hat, gemessen an der Zahl Neuankömmlinge, deutlich unterproportional zugenommen.

Das immer und immer wieder zu erklären, gegen Angst und Verunsicherung anzureden, mag ermüdend und oft auch unbefriedigend sein, es bleibt aber eine Notwendigkeit. Damit sich nicht irgendwann auch noch der letzte Wohlmeinende in ein Rhinozeros verwandelt.

© SZ vom 06.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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