Kommentar:Priorität für die Natur

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Es ist ermüdend, immer wieder zusehen zu müssen, wie andere Erwägungen wichtiger sind als der Aspekt "Umwelt"

Von Alexandra Leuthner

Da hat so ein alter Baum 300 Jahre überstanden, Stürme, Überschwemmungen, Kriege, kleinere und größere. Er ist keinem Bombenangriff zum Opfer gefallen, hat Fürsten und Kirchenmänner überlebt, hat Wanderer, Flüchtlinge, Soldaten vorbeiziehen sehen. Er hat die Säkularisation und den landwirtschaftlichen Umbau des 20. Jahrhunderts unbeschadet überstanden. Ja, nicht mal der Einschlag eines Blitzes konnte ihm wirklich etwas anhaben. Ein oder zwei Äste seiner riesigen Krone hat er eingebüßt, aber er steht immer noch da. Ist nach Aussage von Experten "pumperlgsund" und hätte, konservativ geschätzt, gut und gerne noch mal die gleiche Anzahl an Jahren vor sich, die er jetzt schon in seiner Krone trägt - und da reden wir noch nicht mal von seiner ökologischen Bedeutung für Insekten, Vögel, Kleingetier oder Sauerstoffproduktion. Und jetzt kommt wieder einmal der Mensch daher und die alte Eiche bei Seeschneid muss weg. Für eine neue Straße, auf der man besser, schneller und unbeschwerter fahren kann, für die der Kreis, der sie baut, eine hohe staatliche Förderung bekommt, wenn sie breit genug ist.

Zum Glück, muss man sagen, gibt es inzwischen öffentliches Bewusstsein dafür, dass es nicht egal ist, einfach die Säge anzusetzen oder den Bagger zu holen, wie die Umweltfrevler im tropischen Regenwald, wenn wieder ein Stück Natur im Weg ist. Und schon manches Mal hat dieses Bewusstsein einen Baum, ein Wäldchen, einen Bach retten können. Und natürlich müssen Abwägungen anderer Art beim Bau von Straßen auch eine Rolle spielen, da geht es um Felder, auf denen nicht mehr angebaut werden kann, um Ausgaben, die jede staatliche Institution im Auge haben muss, wenn sie Investitionen beschließt, schließlich hantiert sie mit Steuergeldern.

Aber es ist doch so ermüdend, immer wieder zusehen zu müssen, wie diese anderen Erwägungen wichtiger sind, wie der Aspekt "Umwelt" immer noch unter "ferner liefen" behandelt zu werden scheint. Wieso hat er in Zeiten des Klimawandels immer noch keine Priorität? Wieso wird eine Kreisstraße staatlicherseits nur gefördert, wenn sie sieben Meter breit ist? Wieso müssen wir diese Diskussionen immer wieder von neuem führen?

© SZ vom 13.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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