Kommentar:Plötzlich nah dran

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Das Thema Europa hat im Landkreis so viele Menschen mobilisiert wie selten zuvor. Der Grund sind vor allem alarmierende Entwicklungen in einigen Nachbarländern

Von Wieland Bögel

Zwischen Ebersberg und Brüssel beträgt die Entfernung fast exakt 630 Kilometer, die Strecke nach Straßburg ist ziemlich genau halb so lang. Was zwar in der heutigen Zeit keine unüberwindliche Entfernung mehr darstellt - geht es aber um die EU, deren Institutionen in den beiden Städten in Belgien und Frankreich angesiedelt sind, könnte man oft meinen, wieder im Zeitalter der Postkutsche zu leben, so weit scheinen Straßburg und Brüssel entfernt. Dies konnte man lange Zeit besonders bei den Europawahlen beobachten, die Beteiligung schwankte immer um die 50 Prozent, teilweise darunter. Ein Ergebnis, das angesichts des doch eher schleppend verlaufenden Wahlkampfes der vergangenen Wochen diesmal auch zu erwarten war - eine Erwartung, die sich zum Glück nicht erfüllt hat, die Beteiligung war hoch wie nie: Fast zwei Drittel der Wahlberechtigten gaben im Landkreis ihre Stimme ab.

Die Gründe dafür dürften nicht so sehr im Landkreis selbst gelegen haben, sondern ein paar Kilometer entfernt - 330, 530, 800 und 945, um genau zu sein. Es sind die Entfernungen nach Wien, Budapest, Warschau und London - vier Städte, in denen sich in jüngerer und jüngster Zeit gezeigt hat, dass das mit dem vereinten Europa vielleicht doch keine ganz schlechte Idee ist. In allen vier Städten haben erklärte Feinde der europäischen Idee bewiesen - und beweisen es noch -, dass sie bei weitem keine Alternative sind, was auch auf die gleichnamigen Anti-Europäer hierzulande zutrifft. Deren Erfolge sich bundesweit wie auch hier im Landkreis doch eher in Grenzen halten, sie verzeichnen sogar einen leichten Rückgang. Was neben der zunehmenden Abnutzung der immer gleichen Parolen aus Fremdenfeindlichkeit und Verschwörungstheorie sicher auch an der hohen Wahlbeteiligung liegt, bekanntlich sinken die Werte der Extremisten, je mehr Leute insgesamt zur Wahl gehen.

Gut also, dass sie sich nicht haben abschrecken lassen, von den langen Distanzen, den geografischen, wie den administrativen. Ebenfalls gut, dass die allermeisten, die im Landkreis zur Wahl gegangen sind, dies mit Vernunft und Augenmaß getan haben. Von einer kleinen Minderheit abgesehen, haben die Ebersberger ihre Stimmen nämlich Parteien gegeben, die - bei allen inhaltlichen Unterschieden - für die europäische Einigung stehen. Wenn auch, wie im Falle der CSU, nicht immer so deutlich wie dieses Mal. Die vielleicht um die Erkenntnis reicher geworden ist, dass man Wahlen auch gewinnen kann, wenn man nicht auf Brüssel und Straßburg schimpft. Denn das übernehmen schon andere, mit denen man sich besser nicht gemein machen sollte, das gilt in Wien, Warschau und Budapest ganz genauso wie im Landkreis Ebersberg - wo das immerhin mehr als 90 Prozent der Wähler begriffen haben.

© SZ vom 27.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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