Kommentar:Nicht mehr auf großem Fuß

Lesezeit: 1 min

Über schicke Neuprojekte wird der neue Grafinger Stadtrat erst einmal nicht zu reden brauchen. Er wird darüber zu reden haben, von welcher ihrer gefühlten Selbstverständlichkeiten sich die Stadt verabschieden möchte

Von Thorsten Rienth

Immerhin liegen die Broschüren aus dem Kommunalwahlkampf nun im Altpapier. So wird schon niemand mehr daran erinnert, wie sehr sich der kommunalpolitische Rahmen bereits nach ein paar wenigen Corona-Monaten geändert hat. Die angedachten Millionen, um die baufällige Rotter Straße 8 abzureißen und dort ein städtisches Kulturzentrum hochzuziehen? Undenkbar. Die Mittel für das neue Rückgebäude des städtischen Museums? Nicht vorhanden. Oder das mittelfristige Budget für die Straußdorfer Dorferneuerung? Da gibt es wohl Wichtigeres.

Über schicke Neuprojekte wird der neue Grafinger Stadtrat erst einmal nicht zu reden brauchen. Er wird darüber zu reden haben, von welcher ihrer gefühlten Selbstverständlichkeiten sich die Stadt verabschieden möchte.

In den vergangenen Jahrzehnten kam das Selbstverständnis der Stadt auf großem Fuß daher: Freibad, Eisstadion, Sportzentrum, Stadthalle. Neue Grundschule, neuer Wertstoffhof, neuer Marktplatz, neues Museum, modernisierte oder auszubauende Feuerwehrhäuser. Vieles davon sind echte Standortfaktoren, keine Frage. In der Summe ist das jedoch alles ein bisschen viel für eine 14 000-Einwohner-Stadt. Zumindest dann, wenn mit steigenden Kinderbetreuungsquoten auch die Ausgaben für Kinderkrippen, -gärten, -horten sowie Schulen steigen. Und, wie jetzt, bei der Gewerbe- und Einkommenssteuer keine Rekordeinnahmen mehr zu verkünden sind. Der große Fuß muss schmaler werden, wohl oder übel.

In der im April zu Ende gegangenen Wahlperiode waren zuletzt Zweifel erlaubt, ob der Kontext im alten Stadtrat angemessen verinnerlicht war. Im öffentlichen Teil seiner letzten Sitzung appellierte das Gremium reihum an die Finanzdisziplin. Im nichtöffentlichen Teil kassierte dann eine Mehrheit den sehr vernünftigen Beschluss des Bauausschusses aus der Vorwoche, den Bau der Sportstättenanbindung nebst Parkplätzen in zwei Bauabschnitten abzuwickeln. Das hätte Überweisungen in Höhe von einigen hunderttausend Euro schon einmal deutlich entzerrt.

Vom neuen Stadtrat mag man sich den Mumm wünschen, diese "Ab morgen wird gespart"-Praxis zu revidieren. Wann, wenn nicht jetzt zum Start einer neuen Wahlperiode, wäre ein besserer Zeitpunkt?

© SZ vom 08.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: