Kommentar:Lass mir deine Luftmatratze

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Warum es kein Verbrechen ist, ein Privatzimmer im Münchner Umland zur Wiesn zur vermieten

Von Jessica Schober

Wenn ein Anglizismus sich erst einmal verselbstständigt hat, ist er meist schneller in der Lebenswirklichkeit der Menschen als im Duden angekommen. So ist das auch beim Wohnraumteilen. Mancher Umlandsmünchner muss sich derzeit nämlich fragen lassen, ob man das Kinderzimmer auch schon "verairbnbt" habe. Wer sich daran nicht die Zunge bricht, der zerbricht sich spätestens beim Inserieren des eigenen Angebots dann den Kopf über Anstand und Moral. Wie viel Geld darf ich nehmen? Befeuere ich den Hype in der eh so wohnraumgebeutelten Stadt, wenn ich jetzt das leere Arbeitszimmer für 80 Euro die Nacht anbiete? Bin ich ein schlechter Mensch, wenn ich Gäste aufnehme, die dann wiederum keine 200 Euro im Hotel lassen?

Bei aller berechtigten Kritik an astronomischen Wucherpreisen gilt: Es ist ein saisonales Geschäft und kein Verbrechen, ein Zimmer unterzuvermieten. Warum sollen nur Hoteliers und Brauereien mitverdienen? Warum nicht auch Einheimische, die sonst eh bloß die Zeche zahlen beim Wiesnwahnsinn? Grundsätzlich dürfen Mieter nach Absprache mit dem Vermieter maximal acht Wochen im Kalenderjahr ihre Bleibe untervermieten. Laut Stadt München ist eine solche Überlassung kein Problem, wenn sie sich in einem "engen zeitlichen Rahmen hält und die Wohnung in der weit überwiegenden Zeit des Jahres im üblichen Sinne bewohnt wird". Noch haben wir hier eben keine Zustände wie in Barcelona, wo ganze Straßenzüge, Achtung, verairbnbt sind und beispielsweise Studenten kaum mehr Zimmer finden.

Wer allerdings in Oberpframmern ein Zimmer als "close to Oktoberfest" vermietet, darf bitte später nicht über die überfüllten S-Bahnen auf dem Weg zur Donnersberger Brücke schimpfen, die deprimierenden Polyester-Dirndl der Gäste als Brauchtumsverschandelung diffamieren oder den Kotzhügel an der Bavaria beklagen. Das gehört dann eben auch dazu. Tatsächlich kann eine Zimmervermietung sogar eine Bereicherung sein, eine interkulturelle Begegnung, ein Kennenlernen unter Fremden. Ursprünglich geht ja auch der Name des Unternehmens auf das simple Anbieten einer Luftmatratze zurück und beschwört damit eine behelfsmäßige Praxis des Beherbergens. Die Idee: Luftmatratze und Frühstück - air bed and breakfast - ist jetzt zehn Jahre alt. Wer heute seine Haustür öffnet, darf gern sein Herz mit öffnen. Auch wenn mal weniger Reibach zu machen ist. Zum Beispiel indem man freien Wohnraum gelegentlich für Geflüchtete oder Wohnlose in Not hergibt. Das wäre übrigens 365 Tage im Jahr möglich.

© SZ vom 18.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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