Kommentar:Keine Zeit zu verlieren

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Dass das Vaterstettener Rathaus marode ist, ist keine Überraschung. Nun muss die Gemeinde endlich aus ihrer Schockstarre erwachen - bevor im Sitzungssaal noch wegen herabfallender Teile die Helmpflicht eingeführt werden muss

Von Wieland Bögel

Was haben Freeclimbing, Kettenrauchen und ein Besuch im Vaterstettener Rathaus gemeinsam? Alles drei kann die Gesundheit gefährden. Denn wie sich nun herausgestellt hat, ist der Brandschutz im Rathaus so miserabel, dass höchstens die Kettenraucher im Notfall noch über die verqualmten Flure und Freeclimber vielleicht über die Fassade entkommen können. Wirklich witzig ist das alles nicht, aber lehrreich. Zeigt sich doch am Rathaus exemplarisch das grundlegende Problem der Gemeinde Vaterstetten.

In den vergangenen Jahrzehnten hat man verwaltungstechnisch oft von der Hand in den Mund gelebt. Verwaltung und Gemeinderat mussten reagieren, statt agieren zu können. Etwa auf das schnelle Wachstum, an das man die Infrastruktur anpassen musste, oder zuletzt auf die neue Situation bei der Kinderbetreuung. Um den Rechtsanspruch zu garantieren, sind in den vergangenen Jahren zahlreiche neue Einrichtungen entstanden, ein Ende ist nicht abzusehen. Ähnlich wie bei den Schulen, auch hier gab und gibt es viel zu tun, genau wie bei der Gewerbeentwicklung, bei der Verkehrsplanung und vielem mehr. Nicht selten hat man den Eindruck, da versucht jemand, sein Pferd im vollen Galopp zu beschlagen. Dass man sich dabei gelegentlich auch vergaloppiert hat, wie 2013 beim geplanten Ortszentrum Vaterstetten, ist dieser ständigen Notwendigkeit geschuldet, und dafür, dass der Projektpartner pleite gegangen ist, kann man niemandem in der Gemeinde ernsthaft einen Vorwurf machen.

Wohl aber dafür, dass Gemeinderat wie Verwaltung nach dem Scheitern des Ortszentrum-Projektes in eine Art Schockstarre verfallen sind. Dass im Wahlkampf niemand das heiße Eisen anfassen wollte, ist vielleicht noch verständlich. Aber seit der Kommunalwahl sind auch schon wieder mehr als zwei Jahre ins Land gegangen, ohne dass das Rathaus-Problem irgendwem aufzufallen schien. Weder von Seiten der Verwaltung, welche die Mängel an ihrem Arbeitsplatz doch tagtäglich hautnah erlebte, noch aus dem Gemeinderat gab es irgendwelche Ideen oder Vorschläge, wie man mit dem maroden und immer maroder werdenden Bau weiter verfahren sollte.

Der jüngste Bericht zum Brandschutz scheint die Beteiligten nun aufgeschreckt zu haben, plötzlich geht alles ganz schnell. Sogar Bürgermeister Georg Reitsberger, früher kein Freund eines Rathaus-Neubaus, hat seine Position überdacht. Nun gilt es, dieses Momentum zu wahren und schnell eine tragfähige Lösung zu finden - am besten, bevor im Sitzungssaal noch wegen herabfallender Teile die Helmpflicht eingeführt werden muss.

© SZ vom 16.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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