Kommentar:Keine Gewinner ohne Verlierer

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Die neue Bildungseinrichtung ist eine große Chance für Grafing - allerdings muss die Stadt auch die Nachteile offen benennen

Von Thorsten Rienth

Für zwei bis drei Jahre wird der Westen von Grafing-Bahnhof zur Großbaustelle. Schwerlastverkehr, Bagger, Lärm und womöglich auch jede Menge Dreck. Trotzdem - oder gerade deswegen: So viel Glückseligkeit war aus dem Grafinger Stadtrat schon lange nicht mehr zu hören. Kein Wunder. Schließlich ist es nicht irgendeine Baustelle. Es ist die der künftigen Grafinger Berufsschule. Und natürlich kommt das Hochgefühl nicht nur von allerlei neuen Bildungsmöglichkeiten für die Grafinger Jugend. Auch das stadträtliche Ego, das sich in Grafing traditionell immer etwas zu kurz gekommen fühlt, spielt eine Rolle.

Zuerst einmal gilt es festzuhalten, dass die neue Schule tatsächlich eine Riesenchance für Grafing und sein Umfeld ist. Das fängt bei der wohnortnahen Ausbildung an und hört bei Praktikanten, Azubis und Fachkräften auf, deren Mangel auch die Grafinger Unternehmer zunehmend zu spüren bekommen. Doch bei Bauvorhaben dieser Größenordnung gibt es keine Gewinner ohne Verlierer, siehe Grafinger Ostumfahrung. Sie transparent zu benennen, ist jetzt Hauptaufgabe der politischen Entscheidungsträger. Darzulegen, warum die Vorteile die Nachteile angeblich so deutlich überwiegen, ebenfalls. Offensichtlich soll jetzt genau das passieren. Ende September laden Landratsamt und Stadt zu einer Art Grafinger Sonderbürgerversammlung ein. Nicht in irgendein Wirtshaus oder die Stadthalle, sondern dorthin, wo in absehbarer Zeitmehr als 2000 Schüler ein- und ausgehen und natürlich auch an- und abfahren.

Mit drei Millionen Euro ist die Stadt für das Projekt Berufsschule bereits in Vorleistung gegangen. Die Hälfte bekommt sie wahrscheinlich vom Landkreis wieder zurücküberwiesen. Die verbleibenden 1,5 Millionen Euro sind trotzdem eine Menge Geld für eine Gemeinde, die wesentliche Agendapunkte wie etwa die Neugestaltung des Marktplatzes oder die Sanierung des alten Schulhauses in der Rotter Straße 8 seit Jahren nicht auf die Reihe bringt.

Was den Grafinger Finanzierungsanteil angeht, ist vor allem die örtliche CSU in Argumentationszwang. Mit ihrem Fraktionschef Max Graf von Rechberg als Speerspitze präsentierte sie sich in den vergangenen Jahren - freilich nicht zu Unrecht - als beständiger Mahner der Haushaltsdisziplin und Verteufler neuer Schulden. Warum das Mantra beim Prestigeprojekt Berufsschule nicht mehr gelten soll, verlangt genauso nach einer Erklärung.

© SZ vom 08.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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