Kommentar:Hilft vielen, schadet niemandem

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Gegen Barrierefreiheit gibt es kein vernünftiges Argument. Deshalb sollten auch andere Gemeinden sich ein Beispiel an Vaterstetten nehmen

Von Wieland Bögel

Unter einem raumübergreifenden Großgrün neben einer bedarfsgesteuerten Wechsellichtzeichenanlage in Kombination mit einer Fußgängerfurt hinter einer nicht lebenden Einfriedung widmet sich eine raufutterverzehrende Großvieheinheit der Vertilgung von Spontanvegetation. Wer jetzt nichts kapiert hat, muss sich keine Sorgen machen, das ist nämlich eine ganz eigene Sprache: Beamtisch. Umgangssprachlich lautet der Satz: Unter einem Baum neben einer Fußgängerampel zupft eine Kuh Unkraut hinter einem Zaun. Was hier vielleicht witzig klingt, ist für viele Menschen ein echtes Problem, denn tatsächlich liest sich so manches Formular ähnlich wie der eingangs zitierte Satz. Etwas weniger solcher Sätze soll es künftig in Vaterstetten geben, dort sollen Formulare und Gemeindeinformationen in "Leichte Sprache" übersetzt werden.

Vor allem helfen soll dies natürlich Personen, die gewisse Schwächen haben, etwa beim Lesen oder Verstehen von Texten. Auch wer vielleicht noch nicht so gut Deutsch spricht - beispielsweise die vielen dringend benötigten Fachkräfte, ob Pfleger, Techniker oder Erzieher - könnte von einfacheren Formularen profitieren. Und nicht zuletzt alle, die vielleicht über den Satz mit der raufutterverzehrenden Großvieheinheit lachen - nicht jedoch über einen Briefwechsel mit einer Behörde in diesem Stil. Kurz: Würden die Ämter ihre Mitteilungen und Formulare von Unverständlichem befreien und sich insgesamt um benutzerfreundlichere Sprache bemühen, hätten eigentlich alle etwas davon.

Dies gilt genauso für das zweite Beispiel im Bereich Barrierefreiheit aus Vaterstetten: die Forderung nach besser zugänglichen Wahllokalen. Dies würden Eltern mit Kinderwagen oder Rollstuhlfahrer sicher genauso begrüßen, wie alle, die sich schon mal den Knöchel verstaucht oder das Knie angehauen haben und wissen, wie ungern man damit auf höhenmetergewinnenden Stufenanlagen - also Treppen - unterwegs ist. Grundsätzlich gibt es gegen Barrierefreiheit kein vernünftiges Argument. Denn egal ob in Texten oder auf Wegen und in Gebäuden: Es bringt niemandem einen Nachteil, aber vielen viele Vorteile.

© SZ vom 14.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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