Kommentar:Geheucheltes Verständnis

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Die Pläne für die Bebauung des Aiblinger Angers in Grafing machen günstiges Wohnen möglich. Trotzdem passt es vielen Grafingern schon wieder nicht. Mit den Protesten sollte endlich Schluss sein

Von Thorsten Rienth

Als vor ungefähr drei Jahren die Preislisten für das Baugebiet Wolfsschlucht veröffentlicht wurden, herrschte in Grafing große Aufregung. Selbst für die billigste Doppelhaushälfte waren mehr als 700 000 Euro zu berappen. Das Thema günstiger Wohnraum wurde zum bestimmenden Thema im Kommunalwahlkampf 2014. Beim nächsten Mal werde man alles anders machen, versprachen Bürgermeisterin und die allermeisten Stadtratsfraktionen. Beide hielten Wort.

Als Millionärssiedlung wird sich der Aiblinger Anger südlich des Aldi-Markts sicher nicht verspotten lassen müssen. Geschickt überplant sollen auf dem Areal einige Mehrspänner entstehen sowie Mehrfamilienhäuser; letztere maximal vier Stockwerke hoch. Genau so muss die Bebauung im Münchner Speckgürtel aussehen, um Wohnkosten nicht weiter ins Unermessliche steigen zu lassen.

Doch es gibt Leute, denen auch das nicht passt. Es sind die Nachbarn auf der anderen Straßenseite. Sie fürchten Lärm und den Blick auf verbaute Flächen. Und sie tun so, als setzte ihnen der Stadtrat einen aus den Fugen geratenen Retorten-Stadteil vor.

Mehr als zur Kenntnis nehmen braucht das Gremium die Rufe nicht. Die protestierende Nachbarschaft gehört inzwischen bei jedwedem Bauvorhaben zum Alltag. Dass es kaum ein nationales Baurecht in Europa gibt, das die Belange von Nachbarn derart stark schützt wie das deutsche, wird da gerne ausgeblendet.

Trotzdem brauchte es am Dienstagabend nicht lange, bis die ersten Stadträte vorsichtiges Verständnis signalisierten. Ja, hieß es da plötzlich, das Baugebiet komme schon ein bisschen wuchtig daher. Ja, die Pläne seien sicherlich grenzwertig. Doch ist dies ein geheucheltes Verständnis. Selbstverständlich muss die Stadt in die Höhe bauen, wenn für die Breite kein Platz mehr bleibt. Eine neue Erkenntnis ist das nicht. Die gleichen Leute, die sich jetzt vor der Ehrlichkeit wegducken, proklamierten sie vor kurzem selber noch.

Mit dankenswerter Barschheit würgte Bürgermeisterin Angelika Obermayr (Grüne) diese Debattenauswüchse ab: "Wir können Wohnraum nicht aus dem Hut zaubern! Machen wir es großräumig, passt es nicht. Gehen wir in die Höhe, passt es nicht. Gehen wir in die Pampa, dann passt es auch nicht. Jeder von uns wollte dieses Baugebiet - jetzt steht gefälligst auch dazu!"

© SZ vom 17.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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