Kommentar:Für die im Schatten

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Spezielle Kulturveranstaltungen für Senioren scheinen im reichen und kulturverwöhnten Ebersberg überflüssig. Doch der Eindruck täuscht

Von Anja Blum

Eine Oper im Taschenbuchformat, um 15 Uhr nachmittags, samt Kaffee und Kuchen, und das Ganze kostenlos: Das klingt nach einem wunderbaren Angebot für Menschen höheren Alters. Die vielleicht abends immer schon müde sind und generell nicht mehr so mobil. Die in der kulturellen Diaspora leben und weite Wege scheuen. Und deren kleine Rente normalerweise keinen Spielraum lässt für den Luxus solcher Veranstaltungen. Da kann man der Münchner Stiftung, die diese "Musik am Nachmittag" anbietet, nur gratulieren!

Doch ob ausgerechnet Ebersberg das richtige Pflaster für solch eine außergewöhnliche Offerte ist? Erstens finden hier ohnehin sehr viele Kulturveranstaltungen statt. Wer möchte, kann gefühlt ständig ins Kabarett gehen, zum Klavierzyklus oder ins Kirchenkonzert. Zum anderen machen die Senioren der Kreisstadt nicht gerade den Eindruck, am Hungertuch zu nagen. Im Gegenteil: Sie scheinen Zeit und Geld zu haben - vor den Bühnen jedenfalls ist Grau die dominierende Farbe. Muss es angesichts der hierzulande oft beklagten Vergreisung klassischer Konzerte noch ein kostenloses für diese Zielgruppe oben drauf geben?

"Ja!", sagt Thomas John vom Ebersberger Seniorenbeirat ohne zu zögern. Sein Gremium hat die "Musik am Nachmittag" zusammen mit der Stadt nun zwei Mal im Alten Speicher veranstaltet, und die dritte Ausgabe 2019 ist schon in Planung. Am Anfang sei er zwar auch skeptisch gewesen, als die Stiftung ihr Angebot an den Beirat richtete, doch schon nach der Premiere habe sich das ins Gegenteil verkehrt: "So oft und schön sagt selten jemand Danke, manche wollen die Hand gar nicht mehr loslassen."

In Ebersberg nämlich gebe es durchaus großen Bedarf für eine Reihe wie die "Musik am Nachmittag". Zwar zähle das Amt offiziell nur gut 40 Senioren, die der Staat finanziell unterstütze - sogenannte "Aufstocker" - doch laut John müssten es viel mehr sein. "Es gibt sehr viele ältere Ebersberger, die sich schämen, Hilfe anzunehmen, die nicht zugeben, wie arm sie wirklich dran sind." Und wer älter als 75 Jahre sei, für den kämen abendliche Konzerttermine meist ohnehin nicht mehr infrage.

Um die richtige Zielgruppe zu erreichen, tritt der Ebersberger Seniorenbeirat denn auch frühzeitig an die beiden Altenheime heran, damit diese ihren Bedarf an Karten klären und Fahrdienste organisieren können. Erst später findet dann eine kostenlose Vergabe der Tickets im Bürgerbüro statt. Für John der beste Beweis, wie hoch geschätzt das Angebot auch in Ebersberg ist: Die Karten waren in Nullkommanix weg.

© SZ vom 26.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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