Kommentar:Ferner vom Menschen

Lesezeit: 1 min

Der Bügerentscheid über den Grafinger Weihnachtsmarkt zeigt: Lebensqualität ist wichtiger als Parkplätze

Von Thorsten Rienth

Bis zuletzt ist die Haltung der Grafinger kaum einschätzbar gewesen. Echauffieren sich da nur ein paar Weltverbesserer und Christkindl-Romantiker über den eingekürzten Weihnachtsmarkt? Oder spiegelt der Protest einen breiten Querschnitt durch die Bürgerschaft wider? Ganz klar Letzteres ist der Fall: Die mehr als 83 Prozent Zustimmung, noch dazu bei einer Wahlbeteiligung von mehr als 58 Prozent, sind für die Initiatoren ein mehr als sensationelles Ergebnis.

Umso bedröppelter steht mal wieder der Grafinger Stadtrat da. Selten, dass eine direkt gewählte Volksvertreterrunde so an ihren Wählern vorbeiregiert hat. Es war sogar ein mutwilliges Vorbeiregieren: Mehr als 700 Unterschriften hatte Bürgermeisterin Angelika Obermayr (Grüne) im Sommer gegen die Kürzung des Weihnachtsmarkts entgegengenommen. "Ich bitte, das einfach mal zur Kenntnis zu nehmen", kommentierte sie die Situation damals. Der Appell blieb vergeblich.

Vor allem für die Grafinger CSU sind die 83 Prozent eine schallende Ohrfeige. Die Fraktion setzte im Stadtrat artig um, was ihr Mitglied Franz Saißreiner, der wie ein Cheflobbyist der Weihnachtsmarktgegner aufgetreten war, lauthals forderte: einen kürzeren Markt, damit er mit seiner Metzgerei mehr Geld verdiene.

Mit kaltschnäuziger Arroganz wollte die CSU-Fraktion den Bürgerentscheid sogar noch ausbremsen. Obwohl an dessen Rechtmäßigkeit kein Zweifel bestand, votierte sie mehrheitlich gegen seine Zulassung. Bei einem solchen Verhalten ist die Frage erlaubt, ob in der Fraktion überhaupt ein ausreichendes Bewusstsein für demokratische Grundprinzipien herrscht. Weder der Ortsvorsitzende Florian Wieser hielt es für nötig einzuschreiten, noch der Landtagsabgeordnete Thomas Huber.

Umso wichtiger, dass der Entscheid am Sonntag ein anderes demokratisches Grundprinzip unterstrich: Dass "die da oben" im Stadtrat eben nicht machen können, was sie wollen. Sondern dass Bayerns Verfassung mit dem Mittel des Bürgerentscheids eben doch eine gewaltige Mitgestaltungsmöglichkeit bereithält.

Seit mehr als vier Jahren "regiert" das derzeitige Stadtratsgremium nun schon. Angetreten war es mit der Ansage, die Marktplatzberuhigung sei stadtplanerisch das wichtigste Thema überhaupt. Selbst wohlwollend betrachtet, dümpelte das Thema bislang dahin. Spätestens jetzt ist es an der Zeit loszulegen. Und zwar mit einem Fokus, der nach dem 83-Prozent-Entscheid nur heißen kann: Aufenthaltsqualität statt Parkplätze.

© SZ vom 16.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: