Kommentar:Eine neue Stufe

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Auch in der Vergangenheit gab es schon beunruhigende Manifestationen von rechtem Gedankengut an Schulen. Der aktuelle Fall geht aber weit darüber hinaus

Von Thorsten Rienth

Es war schon zutiefst beunruhigend, als 2015 in Poing der Schriftzug "White Power" - wenn auch falsch geschrieben - an einer Schulwand auftauchte. Oder als in Vaterstetten 2019 Schüler Bilder von Adolf Hitler in einer Whatsapp-Gruppe teilten. Oder als Jugendliche Hakenkreuze auf Schultoiletten und Schränke schmierten, wie es ebenfalls 2019 in Grafing geschah.

Was unlängst aber durch den Chat einer neunten Klasse des Grafinger Gymnasiums gegangen ist, stellt im Landkreis eine neue Stufe dar. Zwar ist bislang nur ein kleiner Teil des Verlaufs öffentlich bekannt. Der aber genügt, um sich ein Bild zu machen davon, wie schrecklich die verbreiteten antisemitischen Inhalte waren. Hakenkreuze und "Ab ins Gas"-Parolen. Dann das sogenannte Blutlied mit dem Aufruf zu brutaler Gewalt. Es besingt Messer, Handgranaten und Guillotinen - und deren Einsatz gegen Menschen und Parlamente. Wer nach Beispielen für den so abstrakten Tatbestand der Volksverhetzung sucht, der wird in jeder Zeile dieser Neonazi-Hymne fündig.

Umso beeindruckender, wie eine Handvoll Neuntklässler darauf reagierte. Zwar etwas verunsichert, was nun von den Versen konkret zu halten sei, sprachen sie die Passagen zuhause an. Als ihnen deren Bedeutung dann immer klarer wurde, baten sie ihre Klassenleitung ums Gespräch. Da gibt es wahrlich angenehmere Gespräche zwischen Schülern und Lehrern. Die Selbstreflexion über die eigene Rolle in dem Chat, aber auch die daraus folgende Zivilcourage, die Sache ans Licht zu bringen, verdient ehrlichen Respekt.

Dieser gebührt auch Paul Schötz. Der Schulleiter hätte eine deutlich risikoärmere Variante wählen können. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, die Hetze nur innerhalb der Klasse abzuhandeln oder bestenfalls in der Jahrgangsstufe. Stattdessen verschickte er hundertfach einen Elternbrief. Deutlich in der Wortwahl, einordnend in den gesellschaftlichen Gesamtkontext, dabei die Konsequenzen für seine Schule nüchtern überdenkend. Das ist mutig. Wer weiß schon, ob nicht am nächsten Tag ein Fernsehteam vor der Schule steht?

Die Fallhöhe wäre ja gegeben: In der "Schule ohne Rassismus", die im Januar nach dem Holocaustüberlebenden Max Mannheimer benannt wird, geht ein ekelhaftes Kampflied durch den Klassenchat. Dass die Geschehnisse so unmittelbar eine so ungeschönte Veröffentlichung finden, wäre wohl zweifellos in Mannheimers Sinne gewesen.

© SZ vom 13.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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