Kommentar:Eine Frage der Priorität

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Der Stadtrats-Beschluss gegen ein Kulturzentrum in Grafing geht am Willen vieler Bürger vorbei. Die Entscheidung ist deshalb fragwürdig.

Von Thorsten Rienth

Politisch wollen könne er ja viel, rief Josef Rothmoser (CSU) in die Runde der Grafinger Stadträte. Gerade war dort die Rede von einer großen Begegnungsstätte in der Rotter Straße 8 gewesen. Mit diesem und jenem, und am besten bezugsfertig bis Jahresende 2018. "Aber Politik ist halt immer auch eine Frage dessen, was möglich ist", warf der Zweite Bürgermeister dann ein. Möglich ist derzeit nach Ansicht einer breiten Grafinger Stadtratsmehrheit, das ehemalige Volkshochschul- und Musikschulgebäude zu sanieren. In dessen Erdgeschoss soll weiterhin der Jugendtreff bleiben, im Stockwerk darüber sollen Sozialwohnungen entstehen - unter anderem für anerkannte Asylbewerber.

Nach einer Entscheidung hatte es zunächst nicht ausgesehen. Um das seit acht Jahren brandschutzgesperrte Gebäude war es zuletzt ruhig geworden. Bei der vorab abgehaltenen Fraktionssprechersitzung, in der die Mitglieder über die Themen der Stadtratssitzung informiert werden, waren diesmal lediglich zwei der fünf Fraktionen vertreten: Marlene Ottinger (Bündnis für Grafing) und Wolfgang Huber (Grüne). Wenn ein Großteil der 20 Grafinger Stadträte nur halb informiert in die Sitzung ging, bedeutete das in der Vergangenheit eher eine Vertagung denn einen Beschluss. Den gab es diesmal aber trotzdem.

Es ist allerdings eine heikle Sache, auf die sich das Gremium da eingelassen hat: Kunst und Kultur im Erdgeschoss und darüber die Wohnungen mögen ein passabler Kompromiss sein, um die Dauerdebatte um die "RO8" zu beenden. Der Stadtrats-Beschluss geht aber eben auch am Willen der Bürgerschaft vorbei. Dass die Initiatoren vor knapp zwei Jahren mehr als 1000 Unterschriften für "Kunst, Kultur und Begegnung" sammelten, spielt plötzlich scheinbar nur noch eine Nebenrolle.

So gut das Ansinnen auch sein mag: Wohnungen zu bauen, lässt sich selbst mit Mühe nicht mehr unter diese drei geforderten Begriffe pressen. Aber muss ein Stadtrat das überhaupt? Darf er ein Bürgerbegehren mit dem Verweis auf geänderte Rahmenbedingungen nicht auch mal überstimmen? Eine wirkliche Richtig- oder Falsch-Antwort kann es dabei kaum geben. Letztlich ist es eine Frage der Priorität, die sich jeder einzelne selbst stellen muss, ob Grafing in der Innenstadt ein Kulturzentrum braucht. Will die Fraktion der "Bürger für Grafing" das Vorhaben noch kippen, muss sie Unterschriften sammeln gehen und bei einem etwaigen Bürgerentscheid die Mehrheit für "Kunst, Kultur und Begegnung" einfahren .

© SZ vom 29.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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