Kommentar:Ein Menschenrecht, keine Idee

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Beim inklusiven Wahlrecht geht es nicht um das Ob - es geht allein um das Wie

Von Franziska Spiecker

Wer mit vollbetreuten Bewohnern in Steinhöring spricht, dem wird schnell klar, wie willkürlich und ungerechtfertigt ihr bisheriger Wahlrechtsausschluss war. Auch ihr Brief an die bayerische Staatsregierung mit der Bitte um barrierefreie Züge ist ein offensichtlicher Beleg dafür, dass auch betreute Menschen sehr wohl in der Lage sind "am Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen" teilzunehmen. Und wenngleich natürlich einige Menschen mit - wie ohne - Behinderung politisch engagierter sind als andere, haben sie doch alle gesellschaftliche Interessen, die eine Vertretung durch politische Abgeordnete verdienen.

Das inklusive Wahlrecht ist daher ein wichtiger Schritt, um Bürger- und Menschenrechte in Deutschland zu stärken: Bürgerrechte, weil durch den Beschluss der Karlsruher Richter mehr als 80 000 Bürgerinnen und Bürger in Deutschland erstmals mitbestimmen dürfen, wie die EU, in der sie ja alle leben, aussehen soll. Menschenrechte, weil die gleichberechtigte Teilhabe aller am gesellschaftlichen Leben, die Inklusion, ein Menschenrecht ist - auch wenn die öffentliche Debatte häufig ein anderes Bild zeichnet.

"Pro und Contra Inklusion" - Titel wie diesen hört und liest man hierzulande immer wieder. Er suggeriert, Inklusion sei eine mögliche Option, eine Gesellschaft zu gestalten. Eine Idee, wie G8 oder G 9, bei der es Für und Wider abzuwägen gelte und die man notfalls auch wieder umkehren könne. Und das, obwohl sich Deutschland offiziell bereits vor mehr als zehn Jahren mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention zur Inklusion als Menschenrecht bekannt hat.

Über die Umsetzung dieses Menschenrechts, das steht außer Frage, muss debattiert werden: Wie kann die Kommunikation "zwischen Volk und Staatsorgan" so gestaltet werden, dass auch Menschen mit Behinderung an ihr teilnehmen können? Wie kann man betreute Menschen beim Wählen unterstützen, ohne Gefahr zu laufen, sie zu manipulieren? All diese Fragen sind natürlich berechtigt und wichtig. Nur geht es dabei eben nicht ums Ob. Es geht allein ums Wie.

© SZ vom 18.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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