Kommentar:Ehrenamtliche am Anschlag

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Die Tafeln übernehmen Aufgaben in einem Bereich, aus dem sich der Staat zurückgezogen hat. Doch die Herausforderungen sind inzwischen kaum mehr zu stemmen

Von Isabel Meixner

Wenn wir heute neu aufmachen würden, würden wir alle gleich behandeln." Dieser Satz von Frank Bernhardt vom Schlaraffenland in Kirchseeon zeigt, in welchem Dilemma sich die Tafeln und Lebensmittelausgaben im Landkreis derzeit befinden. Sie haben durch das starke Anwachsen der Flüchtlingszahlen plötzlich ein Vielfaches mehr an potenziellen Kunden, aber nicht mehr Nahrungsmittel. Sie sind gezwungen zu entscheiden: Lassen sie alle Bedürftigen zur Tafel zu mit der Gefahr, dass für den Einzelnen kaum etwas übrig bleibt? Wenn ja, wie organisieren sie die Ausgabe und erklären das den vermutlich nicht erfreuten Altkunden? Oder schließen sie gewisse Gruppen aus?

Diese Fragen haben die zehn Organisationen im Landkreis ganz unterschiedlich beantwortet. Die Ebersberger Tafel etwa achtet nicht darauf, ob jemand Flüchtling ist oder deutscher Staatsbürger. Andere dagegen haben beschlossen, dass die Asylbewerber an der Reihe sind, wenn die heimische Bevölkerung versorgt ist. Man wolle so verhindern, dass es böses Blut gibt.

Auf dem Papier ist die Lage klar: Beide Gruppen sind bedürftig und sollten gleich behandelt werden. Aber kann man Ausgaben vorwerfen, wenn sie wie in Kirchseeon oder Markt Schwaben andere Regeln aufstellen? Schwierig. Die Mitarbeiter kennen die Altkunden oft seit Jahren, fühlen sich ihnen und ihrem Schicksal verbunden und wollen sie natürlich nicht hängen lassen. Sie wissen, wie existenziell wichtig die Tafelausgabe für diese Personen ist. Außerdem stellen die vielen potenziellen neuen Kunden die Ausgaben tatsächlich vor logistische Probleme. Vielerorts sind die Räume zu klein, die Menschen müssten bei Wind und Wetter im Freien warten. Grafing öffnet aus diesem Grund schon an zwei Tagen pro Woche - ein enormer Zusatzaufwand für die Ehrenamtlichen.

Die Aussage von Frank Bernhardt zeigt, wo das Problem der Tafeln liegt: Sie übernehmen Aufgaben in einem Bereich, aus dem sich der Staat zurückgezogen hat, und sind nun am Anschlag. Die Zunahme an Bedürftigen vor allem, aber nicht nur wegen der Flüchtlinge stellt das Ehrenamt vor kaum zu stemmende Herausforderungen - finanziell, personell und logistisch.

© SZ vom 12.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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