Kommentar:Da war doch mal was

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Dass Nazi-Verbrechen Teil des Alltags waren, wird Jahrzehnte nach dem Ende der NS-Diktatur gern verdrängt. Umso wichtiger ist es, durch Gedenkorte darauf aufmerksam zu machen

Von Wieland Bögel

Wann wird ein Ereignis, ein Erlebnis zu Geschichte? Wenn es bedeutend, ja lehrreich für die Nachwelt war? Wenn es darum in einem Geschichtsbuch steht? Wenn nur noch ein Denkmal daran erinnert, weil niemand mehr lebt, um davon persönlich zu berichten? "Nur noch" ein Denkmal? Die Bedeutung eines Erinnerungsortes wird oft unterschätzt, dabei ist es ein Ort, an dem Vergangenes greifbar wird - schließlich begegnen die meisten Leute in ihrem Alltag eher einem Denkmal als einem Geschichtsbuch. In Vaterstetten geht das zum Beispiel seit einigen Jahren all jenen so, die auf einem beliebten Radweg nach Altbaldham unterwegs sind. Mit viel Einsatz und Arbeit haben Ehrenamtliche dort ein Denkmal aufgestellt, um an die Kriegsgefangenen zu erinnern, die an dieser Stelle Zwangsarbeit für die Nazis leisten mussten.

Das besondere an diesem Denkmal ist - neben dem Engagement seiner Urheber -, dass es einen Bereich beleuchtet, der auch heute, 73 Jahre nach dem Ende der Nazityrannei, weitgehend ein blinder Fleck geblieben ist. Dass im "Dritten Reich" furchtbare Verbrechen geschahen, leugnen zwar derzeit nur einige hartnäckige Revisionisten. Dass diese Verbrechen aber nicht nur an der Front oder in den Vernichtungslagern geschahen, sondern allgegenwärtig, ja alltäglich im Sinne von Teil des Alltages und jedem bewusst waren, wurde nach Kriegsende schnell unter den Teppich gekehrt. Schließlich war es Teil der Legende der frühen Bundesrepublik, dass "der Hitler" an allem schuld war und vielleicht noch ein paar seiner Kumpane, aber doch nicht Erika und Max Mustermann. Dass diese aber zumindest wussten und billigend in Kauf nahmen, was an Unmenschlichem in den Jahren der Naziherrschaft geschah, weil es eben genau vor ihren Nasen passierte, zeigen Erinnerungsorte wie jener in Vaterstetten.

Der übrigens einer von genau zwei Orten im Landkreis ist, die an die Gräuel der Nazizeit erinnern, der zweite ist das Mahnmal für die Opfer des Todeszuges in Poing. Eigentlich sollte es viel mehr solche Denkmäler geben. Gerade heute, wo jene, die von sich behaupten, das bessere, echtere, reinere Deutschland zu sein, wieder nach der Macht gieren. Was es bedeutet, wenn sie diese auch ergreifen, kann die Geschichte lehren - und sie zeigt sich auch und gerade im Kleinen, im vertrauten Umfeld, wo es, frei nach Adorno, im falschen Leben kein richtiges geben kann.

© SZ vom 06.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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