Kommentar:Aufstand der Geduldigen

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Neun von zehn Wählern im Landkreis haben sich am Sonntag nicht für die AfD entschieden. Vor ihnen liegt jetzt eine große Aufgabe

Von Wieland Bögel

Wer heute im Landkreis zehn Leuten begegnet, etwa in Bus oder Bahn, in der Warteschlange im Supermarkt oder in der Arbeit, begegnet - zumindest laut Statistik - mindestens einem AfD-Wähler. Also jemandem, der oder die kein Problem damit hat, dass Deutsche, deren Vorfahren nicht seit Jahrhunderten im Land leben, nach Anatolien entsorgt werden sollen und dass man keine Menschen mit anderer Hautfarbe als der eigenen zum Nachbarn haben will. Den oder die es nicht stört, wenn man die Erinnerung an das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte als "Schande" bezeichnet oder lobende Worte für die Handlanger eines mörderischen Vernichtungskrieges findet. Besonders gut kamen solche Sprüche offenbar da an, wo die Welt angeblich "noch in Ordnung" ist, auf dem Land.

Dass sie es nicht ist - oder zumindest nicht als solche empfunden wird - dazu hat auch die CSU in den vergangenen Monaten beigetragen. Anstatt in der Flüchtlingskrise die Probleme sachlich zu benennen und konstruktive Lösungen aufzuzeigen, verstieg man sich zu schriller Rhetorik über "Herrschaft des Unrechts", forderte aber gleichzeitig Obergrenzen für Asyl, die mit dem geltenden Recht schon gar nicht vereinbar sind. Die Folge war und ist trotz zurückgegangener Flüchtlingszahlen bei vielen ein Gefühl der Bedrohung - auch wenn es in den neuen Hochburgen der Rechtspopulisten kaum Flüchtlinge gibt, und mit den wenigen, die dort leben, keine Probleme. Aber es könnten ja andere kommen, so die warnenden Stimmen aus der CSU - die von der AfD begierig aufgenommen und verstärkt wurden. Die Folge war ein Wettlauf der Schäbigkeit gegen die AfD, welcher für die CSU nicht zu gewinnen sein wird. Denn wem kein Spruch zu unappetitlich und kein Vorurteil zu platt ist, ist in diesem Spiel nicht zu schlagen.

Aber vielleicht liegt es nicht an den Parteien, sondern an den neun von zehn Wählern, die am Sonntag nicht die AfD gewählt haben, hier etwas zu verändern. Als vor mehr als 15 Jahren eine Welle rechtsradikalen Terrors übers Land schwappte, Asylbewerberheime und Häuser von Menschen brannten, denen ihr Fremdsein zum Verhängnis wurde, war viel die Rede vom Aufstand der Anständigen. Demonstrationen und Lichterketten sollten zeigen, dass die Mehrheit nicht einverstanden war mit den Verbrechen weniger. Vielleicht wird es Zeit für einen neuen Aufstand der Anständigen. Nicht mit Teelichten in den Straßen, dafür aber mit Geduld bei dem Versuch, Nachbarn, Bekannte, Kollegen, Freunde davon zu überzeugen, dass es nicht richtig sein kann, Leute zu wählen, die so offensichtlich für das Falscheste einstehen, das die Geschichte hervorgebracht hat.

© SZ vom 26.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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