Kommentar:Angst vor Ansage

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Die Mitglieder des Grafinger Stadtrates haben mit ihrer Windkraft-Entscheidung Mut bewiesen - aber auch gleich die Möglichkeit für einen Rückzieher eingebaut.

Von Thorsten Rienth

Das war schon eine ordentliche Wucht, mit der Grafings Stadträte - allen voran die von CSU, Grünen und Freien Wählern - am Dienstagabend die Suche nach örtlichen Windkraft-Potenzialflächen aufschlugen. Nicht lange fackeln. Loslegen. Und zwar schnell. Der Nachdruck ist auch nötig. Zumindest, wenn sie auch nur in die Nähe des Ziels kommen wollen, den Landkreis bis zum Jahr 2030 unabhängig von fossilen Brennstoffen zu machen.

Der aus klimapolitischer Perspektive durchweg positive Abend kommt allerdings mit einer Kehrseite daher, man könnte sagen: mit einer demokratietheoretischen. Sie entspinnt sich aus der im Grafinger Stadtrat offenbar mehrheitsfähigen CSU-Forderung, schlussendliche Windrad-Baugenehmigungen per Plebiszit auszustellen. Oder, je nach dem, eben abzulehnen.

Natürlich gelten Bürgerentscheide zurecht als probates Mittel, umstrittene Entscheidungen in einem ganz und gar basisdemokratischen Sinne zu legitimieren. Parteibücher unterm Stadtrats-Arm sind ja nicht immer ganz dienlich, wenn es ums unvoreingenommene Abschätzen weitreichender Entscheidungen geht. In solchen Fällen wird der Bürgerentscheid zur Demokratie-Bazooka. Wie gut sie treffen kann, haben die Grafinger bei der Ostumfahrung selbst unter Beweis gestellt: Selbst bei den erbittertsten Gegnern der Trasse wurde es sofort nach der damaligen Abstimmung ruhig. Weil bei Demokraten eben kaum etwas schwerer wiegt, als das unmittelbare Hop-oder-Top-Votum aus der Bürgerschaft.

Doch die direkte Demokratie eines Plebiszits muss in einer repräsentative Demokratie die Ausnahme bleiben. Was bei einer Drei-Kilometer-Ostumfahrung wegen deren Tragweite auf praktisch alle Verkehrsströme der Stadt zählen mag, muss wahrlich nicht für jedes Windrad gelten. Was sollen sie Grafinger als nächstes entscheiden? Einen echten Shared-Space-Marktplatz oder doch nur ein Tempo-30-Abschnitt um die Marktplatzinsel? Den Eintritt fürs Freibad oder gleich auch noch den Preis für die Pommes?

Wer sich im Stadtrat mit schmissigen Sätzen für die Energiewende stark macht sollte auch den Mumm mitbringen, in eben diesem Gremium über eine mögliche Baugenehmigung zu entscheiden. Auch dieser Zusammenhang gehört zu den Kennzeichen der repräsentativen Demokratie. Und er gilt auch außerhalb des Stadtrats. Wer eine pro-Windkraft-Entscheidung für schwerwiegend falsch hält, kann ja beim nächsten Mal einfach andere Kandidaten wählen.

© SZ vom 15.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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