Kommentar:Als Dauerlösung nicht vorgesehen

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Sicher, man hätte den Flüchtlingen in Vaterstetten jetzt einmal eine längere Phase der Ruhe gegönnt. Doch die riesige Turnhalle ist dafür der falsche Ort.

Von Alexandra Leuthner

Klar, der Reflex liegt nahe, erst einmal auf die Wohlstandskinder einzuhacken. Schließlich wurde gerade erst mitgeteilt, dass die Flüchtlinge in der Vaterstettener Turnhalle ausziehen müssen, damit die Abiturienten dort feiern können. Dort, wo gerade noch Menschen schliefen, die kaum mehr als die Fetzen retten konnten, die sie am Leibe trugen, werden bald junge Menschen in Sommerkleidchen und Zweireiher über einen roten Teppich laufen, nur um am Ende ein Blatt Papier in die Hand gedrückt zu bekommen.

Doch ganz so schwarz und weiß ist es, wie so oft, auch hier nicht. Klar, die Turnhalle wird so rechtzeitig geräumt, dass die Abiturfeier stattfinden kann. Für die Schule, den Schulleiter, die Abiturienten, die Eltern macht das vieles leichter - auch wenn es Alternativlösungen zur Feierlichkeit in der Turnhalle gab, zu ihren Zeugnissen wären die Eleven allemal gekommen. Doch so werden sich die Schulabgänger natürlich freuen, an gleicher Stelle das erleben zu können, was sie in den Vorjahren immer nur aus der Ferne bei ihren Vorgängern beobachten durften. Kann man ihnen das verdenken? Das Defilee über den Roten Teppich in der eigenen Schule - so ist das nun mal, das ist ein Ritual, und die Menschen lieben Rituale. Und doch waren es Schüler, auch Abiturienten, die sich spontan angeboten haben, als die Flüchtlinge kamen, die in ihren Ferien in der Turnhalle waren, in ihren Schränken nach brauchbaren Kleidungsstücken gesucht haben, beim Sortieren geholfen haben. Und die selbst gesagt haben: Wegen unserer Feier müssen die Flüchtlinge nicht gehen.

Nun aber hat der Gesetzgeber eine Frist vorgesehen für so genannte Notunterkünfte, wie sie die Turnhalle ist. Die liegt bei sechs Wochen, und, richtig, die wurde in diesem Fall unterschritten, wegen der Abifeier. Gerade erst sind sie angekommen, die Flüchtlinge, gerade haben sie vielleicht zum ersten Mal seit Monaten das Gefühl der Sicherheit, ein Dach über dem Kopf, nun müssen sie schon wieder weiter. Ein bisschen mehr Zeit hätte man ihnen gewünscht. Andererseits: In so einer Halle stehen 200 Betten, liegen 200 Menschen, die sich nicht kennen, von denen viele nicht einmal miteinander reden können, Frauen neben wildfremden Männern, Familien mit kleinen Kindern, ohne auch nur ein bisschen Privatsphäre in einem riesigen, bei Sommertemperaturen sehr heißen Raum. Das kann nichts als eine Notlösung sein. Von der man hoffen muss, dass sie nicht irgendwann zu einer Dauerlösung wird, dann diskutieren wir nämlich über ganz andere Dinge als die angebliche Hybris von ein paar Abiturienten.

© SZ vom 13.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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